Peter Joseph von Lindpaintner

Il Vespro siciliano

Camerata Bach Choir, Virtuosi Brunensis, Ltg. Federico Longo

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naxos
erschienen in: das Orchester 01/2019 , Seite 67

Amüsiert nimmt man die Anstrengungen des Festivals „Rossini in Wildbad“ zur Kenntnis, mit der dieses die konzertante Aufführung der deutschen großen Oper Die sizilianische Vesper des württembergischen Hofkapellmeisters Peter Joseph von Lindpaintner in seiner Belcanto-Fokussierung zu legitimieren versucht. Denn die auf der Einspielung zu hörende italienische Übersetzung des 1843 in Stuttgart uraufgeführten Werks von Wilhelm Häser erklingt hier wahrscheinlich zum allerersten Mal.
Höchstwahrscheinlich ist die vorliegende CD die allererste offizielle Einspielung einer Oper Lindpaintners. Besser hätte seine Sizilianische Vesper allerdings in das Profil der „Herbstlichen Musiktage Bad Urach“ gepasst, als diese noch imposante Opernbrocken mit Regionalbezug wie Johann Joseph Aberts Ekkehard oder Victor Ernst Nesslers Trompeter von Säckingen reanimier­ten.
Federico Longo verfügt über den notwendigen synergetischen Puls für diese Musik. Er holt mit den Virtuosi Brunensis die richtigen Farben und Wirkungen aus der genau 200-minütigen Partitur heraus und er demonstriert Akkuratesse, Schliff, Brio. Dabei nimmt er das Werk erfreulich ernst.
Lindpaintner, auf dessen Oper Lichtenstein nach dem Roman Wilhelm Hauffs man nun neugierig wird, schuf eine Oper von europäischem Format nach dem Vorbild Meyerbeers: italienisch in den an Donizetti gemahnenden Melodien, französisch in den zu Szenekomplexen gebündelten Musiknummern und deutsch in der Deklamation. Das gesamte Ensemble wirkt sehr homogen und agiert, als sei es mit diesem Operntypus bestens vertraut. Erwähnt seien Silvia Dalla Benetta in der vorrangigen Sopranpartie der Eleonora, die ihrem Gatten Graf Fondi (Danilo Formaggia) aus bestens nachvollziehbaren Gründen lieber die Treue bewahrt, als dass sie König Carlo d’Anjou erhört, den Matija Meić lyrisch und markant angeht, beides genau richtig dosiert.
Bis die Oper mit der Explosion der französischen Kriegsflotte an der Küste Siziliens endet und damit erfolgreich den sensationellen Katastrophen-Finali der für Paris und Neapel entstandenen Opern nacheifert, gibt es eine eindrucksvolle Fülle an Spotlights wie aus damals modischen Romanen: versuchter Frauentausch als Präventionsinitiative gegen Frauenraub, einen Hosenrollen-Pagen, vor allem aber viele schöne bis flotte Stellen mit italienischem Kolorit. Damit ist Lindpaintner weitaus verschwenderischer als Verdi, der in Les vêpres siciliennes zwölf Jahre später mit einem ganz anderen Handlungsfaden den Aufstand gegen die Franzosen 1282 begründete.
Eine Wiederentdeckung wie Lindpaintners Die sizilianische Vesper bietet überdies die Gelegenheit zu testen, ob heute bekanntere Werke aus dieser Zeit tatsächlich auch besser sind. Im Vergleich mit Wagners beiden Opern, deren Sujets im italienischen Kulturkreis spielen, Das Liebesverbot und Rienzi, schnei­det Lindpaintner bemerkenswert gut ab, auch neben Donizetti. Deshalb sollte man diese Aufnahme als anregenden Appetizer für weitere Spurensuchen in der schwäbischen Romantik verstehen.
Roland Dippel

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