Ulrike Brenning
Giovanni Battista Viotti (1755-1824)
Die europäische Karriere des großen Geigers und Komponisten
Es war Liebe bei der ersten Berührung. Vor mehr als dreißig Jahren bekam Ulrike Brenning im Hauptfachunterricht ein Werk in die Finger, das schon den brummigen Brahms zum Schwärmen verführt hatte: das Violinkonzert a-Moll Nr. 22 des italienischen Geigenvirtuosen Giovanni Battista Viotti. Beim Versuch, Genaueres über dessen Leben und Schaffen zu erfahren, stieß sie alsbald ins Leere. Außer der Dissertation Viotti and his Violin Concertos (1957) und dem 1985 veröffentlichten thematischen Werkverzeichnis von Chappell White gab es damals nur die 1956 erstaufgelegte Biografie von Remo Giazotto, die ihr ein Musikalienhändler in Siena beschaffte. „Ich spürte, dass es meine Aufgabe sein würde, eine Biografie auf Deutsch über den großen, zukunftweisenden Violinisten des 18. Jahrhunderts und hervorragenden Komponisten zu schreiben“, erinnert sich die Autorin einleitend.
Immerhin erschien 2006 in Italien eine neue Biografie, der 2009 das ambitiöse Werk Amico – The Life of Giovanni Battista Viotti von Warwick Lister folgte. Doch ist das vorliegende, durabel gebundene Buch samt CD die erste umfassende Publikation zu Viotti in deutscher Sprache. Obwohl akribische Quellenstudien in deutschen, französischen und italienischen Archiven in sie einflossen, von der Auswertung zahlloser Sekundärliteratur gar nicht zu reden, liest sich die Dokumentarbiografie fast wie ein Roman. Aufbau und Inhalt lassen die reiche Schreiberfahrung erkennen, die der promovierten Musikwissenschaftlerin und Kulturjournalistin, die inzwischen eine Professur an der Hochschule Hannover innehat, im Laufe ihrer freien Berufsjahre zufloss. Auch finden sich Anmerkungen und die fremdsprachigen Originaltexte zitierter Zeugnisse immer auf der gleichen Seite „unterm Strich“, sodass sich mühsames Nachschlagen erübrigt.
Dank bildhafter Schilderungen, Landschaften, Orte und gesellschaftliche Milieus betreffend, und sublimer Einfühlung der Autorin in die keineswegs ruhmsüchtige Persönlichkeit des Virtuosen, der allein 29 Violinkonzerte hinterließ und eine bis in die Gegenwart ausstrahlende Schülergeneration heranzog, fühlt sich der Leser mitgenommen auf eine wechselvolle Lebensreise zwischen Aufklärung und blutiger Revolution, Fürstensaal und Bürgersalon, Willkommen und Ausweisung, Konzertmanagement und Weinhandel, Künstlerglück und Konkurs. Als Sohn eines Hufschmieds aus dem Piemont der Gunst kunstsinniger Adelshäuser und gekrönter Häupter Europas teilhaftig, zeitweise mit der Leitung erster Opernhäuser in Paris und London betraut, sehnt sich der weltgewandte Virtuose letztendlich nach der familiären Wärme des Ehepaars William und Margaret Chinnery – eine damals durchaus gewagte Ménage-à-trois mit einem betrügerischen Schatzmeister und seiner betriebsamen Gattin.
Die beigelegte CD aus der Kammermusikwerkstatt von Oliver Wille (Hannover) dokumentiert zwei der Tre quartetti concertanti Viottis, die sich formal und stilistisch an Haydn orientieren, dem er in London begegnete.
Lutz Lesle