Johannes Brahms
Trio
für Violine, Violoncello und Klavier nach dem Sextett in B-Dur op.18, bearb. von Theodor Kirchner, Urtext, hg. von Christopher Hogwood, Partitur und Stimmen
Originalität – das war das Zauberwort für Künstler im 19. Jahrhundert. Kein Handwerker wollte man sein, sondern ein Prometheus, der unverwechselbare Meisterwerke erschafft. Gleichzeitig entstand – auf dem Feld der Musik jedenfalls – ein seltsames Paradox. Das singuläre Meisterwerk, eine Symphonie von Beethoven beispielsweise, war in verschiedenen Varianten verfügbar, als Bearbeitung für unterschiedliche Besetzungen. Das scheint – auf den ersten Blick – die Exklusivität des Originals wieder aufzuheben. Doch derart grundsätzliche Skrupel befielen die Komponisten nicht. Kein Wunder – der in Noten fixierbare Tonsatz galt, trotz zunehmender Bedeutung der Klangfarbe, immer noch als „Substanz“, und die Instrumentierung als Ausarbeitung, die verschieden ausfallen konnte. Bearbeitungen waren willkommen, um die eigene Musik bekannter zu machen. Sie galten als Wegbereiter zum Original, nicht als Konkurrenten, die Aufführungen in der Originalgestalt überflüssig machten. Sorgen bereiteten den Komponisten also allenfalls Bearbeitungen, die ohne ihre Zustimmung erschienen, oder solche, die schlecht gemacht waren.
Auch Johannes Brahms nahm in der Frage von Bearbeitungen eigener Werke einen pragmatischen Standpunkt ein. Viele übertrug er selbst auf das Klavier, wie zum Beispiel das Streichsextett in B-Dur op. 18, das er für Klavier zu vier Händen bearbeitete. Diese Transkription hielt er sogar für eine „einigermaßen“ gleichwertige Alternative zur Partitur. Bearbeitungen von Kammermusik waren ein florierender Geschäftszweig. Brahms’ Verleger Peter Joseph Simrock brachte das Sextett op. 18 daher in diversen „Kolorierungen“ auf den Markt – für Klavier zu vier Händen, Violine und Violoncello, für zwei Klaviere, für Klavier solo. Von Letzterer, ausgeführt von Robert Keller, war Brahms nicht gerade begeistert: Sie zeige „den Philister“. Ganz anders urteilte Brahms über den Komponisten Theodor Kirchner, der 1883 – zwanzig Jahre nach der Uraufführung – das Sextett op. 18 (wie auch das Sextett op. 36) für Klaviertrio bearbeitete: „Die Trios machen mir außerordentliches Pläisier!“
Im Verlag Bärenreiter ist jetzt die Kirchner-Version des Sextetts op. 18 als Urtext-Fassung erschienen. Kirchner habe versucht, „jene Homogenität beizubehalten, die dem Sextett durch die Verwendung des bloßen Streicherklangs zueigen ist“, schreibt Herausgeber Christopher Hogwood in seiner instruktiven Einführung, die auch Erhellendes zur historischen Aufführungspraxis enthält. Zugleich nutze Kirchner die klangliche Variabilität der Klaviertriobesetzung, um Kontraste „oftmals gar zu verstärken“. Im Vorteil ist das Klaviertrio, wenn es um den Ambitus geht. Mehrmals lässt Kirchner das Klavier in Tiefen steigen, die für das Cello nicht erreichbar sind. Interessant für Streicher: Die Stimmen verzeichnen Fingersätze, die teils von Brahms, meist von Joseph Joachim stammen. Hogwood fügt allerdings die Mahnung an, dass diese zu einem Portamento animieren, das „modernen Auffassungen von rhythmischer Sicherheit entgegensteht“.
Mathias Nofze


