Manuel Gervink/ Robert Rabenalt (Hg.)
Filmmusik und Narration
Über Musik im filmischen Erzählen
„Filmmusik fungiert als Teil der gewohnten Erzählstrategie dramaturgisch narrativ, wenn sie bestimmte Aussageaspekte einer filmischen Sequenz nicht nur deskriptiv hervorhebt oder emotional akzentuiert, sondern der betreffenden Szene ein eigenes erzählendes Moment hinzufügt, das auf spezifische Weise den audio-visuellen Bedeutungshorizont der konkreten Bildfolge erweitert.“
Diese Definition im Aufsatz „Narrative Filmmusik als dramaturgische Metafunktion“ von Wolfgang Thiel kommt dem Buchthema möglicherweise am nächsten. In den Beiträgen zum Symposium Filmmusik und Narration im Rahmen der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden im September 2013 wird vor allem eines deutlich: Es besteht trotz einer sich vertiefenden Auseinandersetzung mit Filmmusik, ihren Rezeptionsangeboten, ihrer Semantik, der Psychologie des Hörens, dem vom Publikum eingeforderten Bildungsreservoir und dessen bestehendem Kombinationsvermögen keine Einigkeit hinsichtlich der intendierten und in der Rezeption deutlich fassbaren Narration.
Gerade deshalb wird das Thema mit hier nur wenigen zielsicheren Resultaten auch für in der Nische absoluter Musik agierende Interpreten spannend. Denn es geht in den Aufsätzen von Robert Rabenalt, Willem Strank, Josef Kloppenburg, Markus Bandur, Federico Celestini und Hans J. Wulff nicht nur um Narration generell, sondern um die gegenseitigen Bedingtheiten der Narrationen durch Musik, Bilder, Texte und „Intertextualisierungen“ im Film, Grauzonen zwischen Musik und Geräusch überwiegend ausgeklammert. Nur vier Aufsätze befassen sich mit konkreten Sujets, Motiven, Topoi, Genres: Panja Mücke beschreibt Giuseppe Becces Originalkomposition zu Tartüff (1923), Wolfgang Thiel untersucht Berliner Großstadtklänge in Filmen von 1945 bis 1975, Claudia Bullerjahn widmet sich der Musik im Western und Julia Heimerdinger der Instrumentalisierung von Elektro-Akustik für narrative Intentionen.
Vor allem ein Satz von Markus Bandur schlägt die Brücke zur genuinen Musikästhetik. „So lässt sich im Blick auf die filmischen Gattungen zugespitzt von einer Korrelation von Musikanteil und Fiktionalisierung sprechen, d. h. mit einem zunehmenden Grad an Märchenhaftigkeit, Fantasy, Utopischem, kurz ‚unglaubhafter‘ Narration im Film nimmt der Einsatz von Musik und deren Intensität zu, und bei zunehmendem Grad an dokumentarischem, vermeintlich ‚nur‘ die Wirklichkeit protokollierendem Erzählen entsprechend ab (weswegen auch bestimmte Spielfilme, die sich dezidiert an dokumentarischen Schilderungen orientieren, – fast – ohne Musik auskommen.)“
Ohne einen Verweis auf Ferruccio Busonis Versuch einer neuen Ästhetik der Tonkunst – geschweige der schon vor etwa 200 Jahren entstandenen Schriften von E.T.A. Hoffmann, Robert Schumann, Ludwig Tieck – kommt man also zum verifizierbaren Axiom, dass Musik auch im (Spiel-)Film die Aura von Romantik und Fantastik multipliziert.
Roland H. Dippel


