Heinz Holliger

4 Hommages

für Violine solo

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz
erschienen in: das Orchester 07-08/2018 , Seite 61

Nein, vorstellen braucht man ihn wirklich nicht. Der Schweizer Heinz Holliger zählt seit mehr als einem halben Jahrhundert als Oboist, Lehrer, Dirigent und natürlich als Komponist zu den „ganz Großen“. Holliger ist sich immer treu geblieben.
Auch mit fast 80 Jahren zeichnet ihn der gleiche kompromisslose Drang nach Entwicklung, nach Grenz­erfahrung, ja – überschreitung aus. Routine, Manifestation der eigenen Meisterschaft auf bewährtem und erfolgreichem Niveau sind ihm ein Gräuel. „Ich habe eine starke Allergie gegen die Routine. Ich möchte mich nie auf dem ausruhen, was ich schon kann“, so der berühmte Schweizer in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung. Und weiter: „Für Wiederholungen ist das Leben zu kurz. Ich muss immer so weit gehen, wie es mir möglich ist. Ich kann künstlerisch nur an meinen Grenzen existieren – und will diese Grenzen ständig rausschieben.“ Im Gespräch mit der Zeitschrift Concerti ergänzt Holliger: „ Für mich findet Kunst überhaupt nur an den Grenzen statt. In der Mitte gibt es eigentlich nichts, was die Kunst interessieren könnte.“
Kernpunkt bleibt die sinnliche Erfahrbarkeit von Musik. Dementsprechend groß ist der Stellenwert des Faktors Klang in all seinen Kombinationen, Farbschattierungen und Metamorphosen. „Musik ist sehr sinnlich. Sie kann gar nicht unsinnlich sein. Musik ist etwas Körperliches. Sie wirkt psychoakustisch.“ Nicht primär intellektuell oder gar schrill provokativ möchte Holliger den Zuhörer erreichen, sondern emotionell: „Man muss neue Musik nicht verstehen, man muss sie fühlen.“
Aus der Feder des Meisters sind jetzt 4 Hommages für Violine solo erschienen, „kleine Geschenke für vier Geiger, die mir menschlich und musikalisch sehr nahe stehen“.
Souvenir de Newcastle für Thomas Zehetmair nimmt augenzwinkernd Bezug auf eine Aufführung von Schuberts 6. Symphonie. Ri-Tratto, geschrieben zum 85. Geburtstag von Hansheinz Schneeberger, „ist, in äußerst komprimierter Form, quasi in einem Zeitraffer, ein Präludium, gefolgt von einer Fuge“, so der Schweizer Geiger Schneeberger. Drei kleine Szenen (Ciacconina/ Geisterklopfen/Musette funèbre) sind Referenz an Isabelle Faust; Das kleine Irgendwas entspringt einer Kindergeschichte aus der Feder der achtjährigen Tochter von Patricia Kopatchinskaja, „ein fast surrealistischer Hochseilakt für singende, rezitierende (und tanzende) Violine“, so Holliger.
Die Miniaturen zeigen den Meister at his best: voller lebendiger, oft skurriler Einfälle, sinnlich in der Klangsprache, meisterhaft in der Handhabung kompositorischer Mittel sowieso, halt typisch Holliger. Einfach sind die Miniaturen
allerdings nicht. Man sollte gut bewandert sein, was „neue“ Spieltechniken, Notation über mehrere Systeme, Mikrotöne, rhythmisch-metrische Relationen usw. angeht. Auch dürfte gleichzeitiges Spielen, Singen und Rezitieren nicht unbedingt jedermanns Sache sein.
Herwig Zack

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