Schwandt, Christoph

Carl Maria von Weber in seiner Zeit

Eine Biografie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2014
erschienen in: das Orchester 04/2015 , Seite 67

Mal ehrlich, außer der epochalen Oper Der Freischütz ist vom Komponisten Carl Maria von Weber wenig bekannt. Pianisten widmen sich ab und an dem Konzertstück f-Moll und Klarinettisten einem der beiden Konzerte oder dem Concertino. Orchestermusikern sind die für Konzertzwecke eingerichteten Ouvertüren von Peter Schmoll oder Beherrscher der Geister irgendwie geläufig; diejenige zu Euryanthe oder der in Großbritannien beliebten Oper Oberon schon weniger. Jenseits des Freischütz wurde keines seiner Bühnenwerke Repertoire. Im Großen und Ganzen ist der Romantiker Weber – unabhängig von seinem Rang – also ein großer Unbekannter geblieben. Seine beiden Sinfonien entdeckte die Musikwissenschaft, aber nicht das Konzertpublikum, ebenso seine vier Klaviersonaten.
Biografien über Weber gibt es einige, angefangen mit dem dreibändigen Lebensbild, das der Sohn Max Maria von Weber 1864 bis 1866 in Leipzig veröffentlichte. Als „deutscher Komponist“ wurde er in Publikationen rund um den Zweiten Weltkrieg präsentiert. Eine neue Ära begann mit dem großen „Schmöker“ des britischen Musikologen John Warrack 1968, der deutsch 1972 (1. Auflage) in Hamburg und 1986 (2. Auflage) im Leipziger VEB-Verlag der DDR erschien. Handlicher wickelte dazwischen (1978) der Musikwissenschaftler und Dramaturg der Hamburgischen Staatsoper Michael Leinert das Leben des Komponisten für die beliebte rororo-Reihe des Rowohlt-Verlags ab. In den 1980ern startete in Deutschland eine moderne und sachgemäße Einschätzung von Leben und Werk Webers.
Die nun bei Schott erschienene Biografie von Christoph Schwandt reiht sich in diese Linie ein. Sie verarbeitet musikwissenschaftliche Erkenntnisse der vergangenen Jahrzehnte in einem über 600 Seiten starken Buch. Auch hinterfragt der erfahrene Dramaturg (zuletzt an der Kölner Oper) und Biografien-Autor (Bizet, Verdi, Janácek) das immer noch verbreitete Bild des „deutschen Komponisten“, wie Intendant und Regisseur Jürgen Flimm bereits im Vorwort ankündigt. Die vielen französischen, italienischen, wienerischen oder böhmischen Einflüsse machen den feingeistigen Weber ja eher zu einem Europäer, der von Richard Wagner & Co erst rückwirkend in einen nationalen Stammbaum gestellt wurde.
Mit Akribie und einem Arsenal an Namen aus dem Umfeld entwickelt Schwandt ein lebendiges Bild seiner Zeit. Wie in seinen früheren Biografien geht es nicht um musikalische Analysen und Notenbeispiele (wie bei Warrack), sondern um das Leben dieses u.a. in Wien, Breslau, Stuttgart, Berlin, Prag, London und natürlich Dresden wirkenden Komponisten. Werkbeschreibungen, etwa zum Freischütz, sind gleichwohl eingebunden. Die mit vielen Quellenzitaten geschilderten Hintergründe sind eine spannende Lektüre. Am Ende wird auf viereinhalb Seiten die postume Weber-Rezeption eher knapp zusammengefasst. Ein Werkverzeichnis mit entsprechenden Seitenangaben erleichtert die schnelle Recherche zu einem Werk ungemein.
Matthias Corvin

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