Bohuslav Martinu

Nonett Nr. 2

H 374, hg. von Jitka Zichová, Studienpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 05/2018 , Seite 68

Wenn ein Komponist so viel Kammermusik in einem ohnedies schon umfangreichen Werkverzeichnis aufzuweisen hat wie Bohuslav Martinu, dann findet sich darin ganz bestimmt auch die ein oder andere Rarität in Bezug auf Form, Besetzung oder Umfang. Und wenn eben jener Bohuslav Martinu letztlich vor allem mit seiner schillernden und lebhaften Orchestermusik bekannt wurde, dann überrascht es nicht, dass sich der Böhme auch dem äußerst selten anzutreffenden Nonett gewidmet hat. Im Fall seines hier im Urtext und als übersichtliche Studienpartitur vorliegenden zweiten Nonetts wählte Martinu die „klassische“ Besetzung aus vier Holzbläsern, Horn und vier Streichern (mit Kontrabass).
In seinen klanglichen und strukturellen Möglichkeiten ist Martinus Nonett auf halbem Weg zwischen Kammermusik und Orchesterwerk angesiedelt. Der Komponist gibt ihm dabei in den drei jeweils rund fünf Minuten dauernden Sätzen zahlreiche instrumentale Impulse mit und spielt virtuos mit den tonlichen Möglichkeiten von Streichern und Bläsern. Von solistisch-transparenten Passagen vor allem im lyrischen Andante bis hin zum vollstimmigen und doch immer gut strukturierten Tutti werden alle kombinatorischen Register gezogen, die das Quintett der Bläser und die vier Saiteninstrumente ermöglichen.
Eine Art Wellenbewegung entwickelt sich aus dem Beginn des ersten Satzes. In für Martinu typischer Weise wird diese aus kleinzelligen Motiven aufgebaut und bekommt nach und nach durch die Verdichtung in Klang und Rhythmus einen wunderbar musikantischen Schwung. Das pantomimenartig anmutende Finale nimmt diese Bewegung zwar wieder auf, gibt sich aber deutlich akzentuierter und kantiger.
Harmonisch am progressivsten zeigt sich der langsame Satz, der damit auch belegt, dass Martinus Sorge eher unbegründet war, sein Nonett würde bei der Uraufführung im Rahmen der Salzburger Festspiele 1959 aufgrund mangelnder Modernität durchfallen. Tatsächlich wurde die dort vom Widmungsträger und Auftraggeber, dem Tschechischen Nonett, besorgte Uraufführung ein letzter großer Erfolg für Martinu, der wenige Wochen später starb.
Dieses so einfallsreiche und kompakte Stück Kammermusik, dessen Komposition Bohuslav Martinu nach der Oper Griechische Passion nach eigener Aussage als Vergnügen empfand, ist ein schöner Schlusspunkt voller Understatement unter einem großen und vielschichtigen Œuvre, in dem noch vieles der breiteren Entdeckung harrt. Folgerichtig durften Flöte, Oboe, Klarinette, Horn, Fagott, Violine, Viola, Cello und Kontrabass bei einer der ersten Gedenkveranstaltungen für den Komponisten im September 1959 in Prag mit diesem Nonett ein bewegendes musikalisches „Adieu“ formulieren.
Daniel Knödler

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