Hanns Eisler, Laurindo Almeida, Jaime Ovalle und anderen
In diesem Lande und in dieser Zeit
Eisler Trio
Diese CD ist ein Exempel für die vorbildliche Darstellung von neuerer Musikgeschichte und für Selbstbescheidung. Erst auf der letzten Bookletseite finden sich die Namen der Mitwirkenden des niederländischen Eisler Trio. Die Gitarristin Annedee Jaeger, die Sopranistin Bauwien van der Meer und der Cellist Joris van Haaften haben keinen Grund sich zu verstecken, abgesehen von der Tatsache, dass ihre CD nicht einmal eine englische Übersetzung des wahrscheinlich sehr gründlich recherchierten Booklettextes und der portugiesischen Liedtexte bietet. Das erschwert für internationale Hörer den Zugang zu dieser wichtigen Kompilation, die weitere Bewegung in die Eisler-Rezeption bringt, die zuletzt von Steffen Schleiermacher und Holger Falk mit einer vierteiligen Liededition angeschoben wurde.
Mit seinen Arrangements macht das Eisler Trio nichts falsch, weil der Komponist in den allermeisten Fällen keine Fassung letzter Hand von seinen Liedern autorisiert hat. Spannend ist das Projekt deshalb, weil es Eislers Werke durch den Streicherklang sinnlich verortet und so ein unerwartetes Bezugssystem zu den schwingenden brasilianischen Synkopen und Chanson-Posen aufreißt. Dieses Bemühen ist ganz gewiss nicht einfach, weil die weich vibrierende Sinnlichkeit von Stimme und Instrumenten eingesetzt werden für jene ganz schweren sozialistisch-kämpferischen Brocken aus Eislers uvre und der Feder Bertolt Brechts, die man heute aufgrund der sogar als penetrant empfundenen Appellhaltung am liebsten vergessen würde: Die Ballade von der Judenhure, Über den Selbstmord und so weiter.
Doch jetzt kommt das kleine Wunder. Der musikalische Schimmer von Villa-Lobos und Co fällt auf Eisler, dessen Lieder dadurch auf einmal eine schöne Milde gewinnen. Agitationsmusik wird zur lichten Straßenmusik. Und ebenso wenig wie der kunstliederfahrene Holger Falk mit Steffen Schleiermacher lässt sich Bauwien van der Meer dazu hinreißen, die Lieder als trommelfeuerartige Diktionsorgien zu skandieren und damit zu vernichten.
Warum das eine eigene überzeugende Ebene gewinnt, wird für mitteleuropäische Ohren an den Stücken offenbar, die nicht von Hanns Eisler stammen. Das Eisler Trio nähert sich nämlich den Brasileros nicht mit anspruchsvollem Stilbewusstsein, sondern bleibt ganz in seiner persönlichen Musizierhaltung. Das heißt: Der Kontrast zwischen Lateinamerika und Europa wird nicht aufgerissen, sondern angeglichen. Deshalb ist die Entscheidung über Zustimmung oder Ablehnung hier mehr dem Hörer überlassen als sonst. Die Haltung des Eisler Trios überzeugt, weil sie Schwellenängste zu Hanns Eisler abbaut und zugleich dessen Werken eine unvermutete Rundung gibt. Der Verlust an Textschärfe ist möglicherweise ein Handicap. Trotzdem: In dieser Ambivalenz wird deutlich, dass Zeit und Musikbetrieb reif sind für die Umschichtung der Hanns-Eisler-Rezeption, die zwischen DDR-Nationalhymne, Deutschem Miserere und dem Faust-Fragment noch überraschende Hinter- und Abgründe bereithalten dürfte.
Roland H. Dippel