Graham, David P.

Suite

für Violine solo

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Robert Lienau, Mainz 2017
erschienen in: das Orchester 09/2017 , Seite 69

Indem er sein Violinwerk mit der Gattungsbezeichnung „Suite“ überschreibt, gibt David P. Graham gleich einem ganzen Bündel von Konnotationen Raum: Der 1951 geborene britische Komponist, der sich in der Vergangenheit immer wieder durch anspruchsvolle Arbeiten mit und für Kinder und Jugendliche sowie mit grenzüberschreitenden Musikprojekten einen Namen machte, wandelt hier, so scheint es zumindest, auf den Spuren großer Vorbilder.
Tatsächlich handelt es sich jedoch nicht um eine durchstrukturierte Suite nach barockem Vorbild oder um ein davon abgeleitetes Modell, sondern – so betont der mit Grahams Musik vertraute Geiger Kolja Lessing in einem kurzen Vorwort – um „drei äußerst kontrastreiche, geigerisch nicht minder farbig gestaltete Sätze“, die „in subtiler Assoziation barocker Vorbilder“ komponiert worden seien und „auch separat aufgeführt werden können“.
Das eröffnende Prelude, 2002 entstanden, erweist sich als Reihung von improvisatorisch anmutenden Abschnitten, die einerseits mit weiten, in ruhigem Tempo entfalteten melodischen Gesten, andererseits aber auch unter Einbeziehung von Vierteltonschritten die Registerbereiche des Instruments bis in die dreigestrichene Oktave hinein erkunden. Der bereits 1989 komponierte, als Arietta bezeichnete Mittelsatz mit seiner Verknüpfung von Maestoso-, Andante- und Scherzando-Abschnitten weist eine unverkennbare Affinität zur solistischen Violinmusik von Grahams Lehrer Hans Werner Henze auf und erinnert in einigen Aspekten sogar an dessen Solosonate (1976/77, revidiert 1992). Dem bei einer Gesamtaufführung als musikalisches Zentrum fungierenden, den Möglichkeiten kantabler Klanggestaltung entgegenkommenden Satz lässt der Komponist noch eine wiederum 2002 entstandene Fuga folgen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht etwa um ein Stück in kontrapunktischer Satztechnik, sondern – so Lessing – „um eine veritable Verfolgungsgeschichte, eine Flucht im ursprünglichen Sinn des Wortes“, geprägt von wilden, sich miteinander abwechselnden Passagen aus frei akzelerierenden Skalenaufstiegen, Wurfbogentexturen und raschen Arco-Pizzicato-Wechseln voller Übermut.
Insgesamt entbehrt die Zusammenfassung der drei Einzelsätze zu einer „Suite“ nicht einer gewissen Logik, da jedes Stück als Station einer Steigerungsanlage angesehen werden kann, die in der turbulenten Fuga ihr Ziel findet. Aufgrund der stark abweichenden Fakturen wird dieser Eindruck jedoch zugleich wieder gebrochen, sodass die Gesamtheit eher wie ein loser Zusammenschluss von kompositorisch recht heterogenen Stücken anmutet, zumal auch auffällige musikalische Details wie die Mikrotonalität oder charakteristische Intervallkonstellationen aus dem Prelude keine Verbindungslinien zu den übrigen Stücken ausprägen. Ganz gleich aber, ob man sich für eine zusammenhängende Wiedergabe oder einen Einzelvortrag der Stücke entschließt: In jedem Fall ist dazu ein beachtliches spieltechnisches Können erforderlich.
Stefan Drees

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support