Beikircher, Konrad

Pasticcio Capriccio

Der allerneueste Opernführer

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017
erschienen in: das Orchester 09/2017 , Seite 64

Der Südtiroler (aus Bruneck) und der Rheinländer (er lebt in Bonn), der Kabarettist und der Musikwissenschaftler, der Psychologe (in einer Justizvollzugsanstalt) und der TV-Reiseführer, der Moderator und der Unterhalter: Das alles vereint in sich und seinen Talenten Konrad Beikircher, Jahrgang 1945. In jüngster Zeit entdeckt er neu die Geschichten und Weisheiten der klassischen Musik – die Oper hat
es ihm dabei besonders angetan.
Bei ihr treffen sich aus seiner individuellen Sicht Kompetenz und Witz, Unbekümmertheit und Werbung für die Sache. Beikircher ist ein Rattenfänger älterer und jüngerer Menschen, wo immer er zum Publikum spricht: auf der Bühne, auf dem Bildschirm, im Buchformat. Er löst Freude an eigener Schulung und der musikalischen (Wieder-)Entdeckung aus.
Man muss nicht jede seiner (Be-) Wertungen gutheißen oder an seinen flapsigen Kommentaren Gefallen finden. Beikircher ist und bleibt immer ein wortgewichtiger Kabarettist – und das merkt man selbst diesen „Histörchen“ rund um Rossini und Puccini, Wagner oder Strauss an. Beikirchers „allerneuester Opernführer“ bedient leider nur 14 Werke der Gattung Oper – von Der Italienerin in Algier bis Capriccio, vom Barbier von Sevilla bis zum Lohengrin. Aber wie der Autor launig und lustig, zuweilen auch mal gallig oder gänsehautnah Handlung und Einordnung, Höhepunkte und „Flops“ der populären Bühnenwerke schildert und sie subjektiv den Lesern „erklärt“, das ist so unterhaltsam wie informativ. Man merkt fast
in jedem Satz, dass die Musik (die Oper!) für ihn Seelenfutter ist. Er könnte ohne sie wohl nicht leben.
Grenzwertig ist seine „Gebrauchsanleitung“ zum Verstehen und „Genießen“ dieses Führers. Kategorien, die er einsetzt und pfiffig benutzt, sind zum Beispiel Erotik, Tränenkult, Ewigkeit, Feinschmeckerkost, theatralische Magie, Stolpersteine, Gewaltszenen, moralische Inhalte, Hits und Flops. An diese persönlichen Einschätzungen muss man sich gewöhnen – man kann sich aber auch gewinnbringend an ihnen reiben. Je nachdem. Der Psychologe pfuscht Beikircher da zuweilen ins musikwissenschaftliche Handwerk.
Aber man weiß ja: Hier schreibt, spricht, urteilt ein Kabarettist. Also muss man nicht alles tief ergründen und so jeden Satz auf den Kern hin befragen. Opernliebhaber werden Beikircher nach der Lektüre (noch mehr) schätzen, Opernmisanthropen bekommen in ihrer Skepsis neue Nahrung.
Ein Beispiel für Beikirchers Stil mag das Ganze unterstreichen. So berichtet er aus Richard Wagners Aufzeichnungen: „Therese Ringelmann, eines Totengräbers Tochter, verführte mich durch ihre schöne Sopranstimme zu der Annahme, sie zur großen Sängerin bilden zu müssen. Seitdem ich ihr hierüber Eröffnungen gemacht, kleidete sie sich in den Chorproben mit besonderer Aufmerksamkeit und verstand es durch eine weiße Perlenschnur […], meine Fantasie in angenehme Aufregung zu versetzen.“ Das gefällt Beikircher.
Jörg Loskill

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