Schiff, András

Musik kommt aus der Stille

Gespräche mit Martin Meyer. ­Essays

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter/Henschel, Kassel/Leipzig 2017
erschienen in: das Orchester 09/2017 , Seite 58

„Ungarn – ungern“. Hinter dieser etwas kalauernden Überschrift steht die eindeutige Haltung des Pianisten, nicht mehr in seiner Heimat Ungarn aufzutreten, solange dort Viktor Orbán und mit ihm „Rassismus, Antisemitismus, Diskriminierung der Roma“ herrschen. Ähnlich hat er es mit Österreich gehalten, solange dort Jörg Haider im politischen Spiel war. Eine Meinung zu haben und diese auch zu vertreten, ist ein wichtiger Teil dieses Buchs. Und András Schiff zählt sich gewiss nicht zu denen, die er als „unpolitische Künstler“ ablehnt.
Doch natürlich beginnt ein Buch dieses Titels mit der Musik.
In langen Dialogen mit Martin Meyer spricht Schiff über seinen Lebens­inhalt, die Musik, die für ihn „ziemlich weit ans Göttliche“ rührt. Bei Bach und in den Streichquartetten Beethovens höre und spüre er Dinge, die nicht bloß rational zu erklären seien. Mit Bach beginnt für ihn jeder Übungstag – und ihm gibt er mittlerweile den Platz vor Mozart, „weil Bach mehr am Existenziellen rührt“. Sehr detailliert, fast kleinteilig spricht Schiff über seine Ausbildung („Leider gleicht der Musikunterricht an manchen Instituten immer noch dem Programm eines Polizeistaats. Furchtbar.“), die ersten Konzerte und Karriereschritte. Dabei steht er kritisch zu Kritik, Musikbetrieb und Kommerzialisierungsstrategien. In der zeitgenössischen Musik vermag er nach dem Zweiten Weltkrieg nur wenige Meisterwerke zu entdecken, fühlt sich mit Blick auf die neuen Werke „häufig im luftleeren Raum“. Da verwundert es wenig, dass er auch dem deutschen Regietheater – „in den USA ‚Eurotrash‘ genannt“ – ablehnend gegenübersteht.
Nach der Musik folgt ein ebenso langes Gespräch über Schiffs „Lebensgänge“. Und es ist beklemmend, wenn er schildert, dass seine Familie der Judenvernichtung nur deshalb entkam, weil alliierte Bomben die Zugstrecke nach Auschwitz zerstört hatten. Nicht weniger beklemmend, dass im Nachkriegs-Ungarn die jüdische Identität wieder verborgen werden musste, „man musste – nun auf andere Weise – überleben“. 1979 verließ András Schiff Ungarn, nicht ohne seine Mutter vor Repressalien des Staates zu schützen.
Sein Wissen und seine Erfahrung um und mit der Musik gibt Schiff nicht nur in Lecture-Konzerten (eine Schule des Hörens) weiter, sondern auch in klugen Essays, die den dritten Teil des Buches bilden. Es gibt eine „Reiseführung zu Bachs Goldberg-Variationen“, „Vorschläge für Studenten und Interpreten“, auch Aussagen zu „Bach auf dem modernen Klavier“ und zur historischen Aufführungspraxis, der er erst ambivalent, nun positiver gegenübersteht. Musikwettbewerbe sind für ihn nicht berechtigt, weil es „in der Kunst überhaupt keine Gegner“ gibt. Man musiziert „für, nicht gegen andere“. Und schließlich zählt András Schiff „die Zehn Gebote für Konzertbesucher“ auf, nicht neu, aber schön bissig formuliert, bis hin zur Warnung vor „Schreckensgeräuschen der rhino-laryngealen Organe“.
Ute Grundmann

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