Sergei Rachmaninov / Mily Balakirev
Symphony No 1 / Tamara
London Symphony Orchestra, Ltg. Valery Gergiev
Valery Gergiev hat für Sergej Rachmaninows erste Sinfonie das richtige Gespür. Liszt und Mussorgskij lassen grüßen. Auch der elegische Zauber der Tschaikowsky-Melodien ist bei dieser Wiedergabe der ersten Sinfonie herauszuhören. Weltmännische Virtuosität und pathetische Wucht ergreifen den Hörer dabei ganz unmittelbar. Slawische Temperamentsausbrüche treffen sich mit der Glut russischer Themen. Und die anspruchsvolle sinfonische Verarbeitung des gut klingenden Materials verblüfft. Gergiev arbeitet mit dem London Symphony Orchestra auch den Gegensatz von liturgischen Themen und der Nähe zur Zigeunermusik nuancenreich heraus.
In den Sinfonischen Tänzen hat Rachmaninow das Thema seiner ersten Sinfonie wieder aufgenommen. Kontrastierende Themengruppen ganz unterschiedlichen Charakters laufen hier fast atemlos um die Wette. Jeder Satz beginnt dabei mit dem gleichen Motiv aus vier Tönen. Eine absteigende Geste in den Streichern wird markant betont. Der klangfarblich reizvolle Wandlungsprozess in dieser Sinfonie nimmt den aufmerksamen Hörer sofort gefangen. Das sind eindeutig die Vorzüge diese Aufnahme. Rachmaninows erste Sinfonie erlebte übrigens eine katastrophale Uraufführung. Mittlerweile schätzt man diese Sinfonie allerdings als ein überzeugendes Beispiel seines frühen Talents. Ein rhapsodischer Grundzug und melancholisch umflorte Lyrik beherrschen diese Wiedergabe sehr deutlich. Rhythmische Energie tritt vor allem im grandiosen Finale mit blendender Pracht hervor. Hier wird ein außerordentlich großer und elektrisierender Spannungsbogen aufgebaut, der unter die Haut geht.
Auch bei der subtilen Interpretation von Milij Balakirews in Deutschland weitgehend unbekannter Tondichtung Tamara gelingt es Gergiev, die thematischen Verbindungen offenzulegen. Die transparente Wiedergabe des London Symphony Orchestra verdeutlicht den harmonischen Zusammenhang zwischen den beiden Werken. Gergiev und das Orchester treffen exakt den orientalischen Stil dieser Musik. Der Titel Tamara stammt übrigens aus einem Gedicht Michail Lermontows, das eine tiefe Schlucht im Norden Georgiens beschreibt, über der im Turm die Prinzessin Tamara lebt. Ein Reisender wird von ihr begrüßt und verschwindet auf unheimliche Weise. Eine zähe, langsame Melodie und übermäßige Intervalle zeichnen diese Interpretation aus, die auf Details großen Wert legt. Insbesondere die raschen Tanzrhythmen erreichen eine atemlose Intensität, begleitet von den filigranen Holzbläsern mit dem Tamarathema. Synkopen und rhythmische Verschiebungen fesseln den Hörer. Auffallend sind hier die dynamischen Gegensätze von Laut und Leise bei den Staccato-Attacken, was bei der Aufnahme ausgezeichnet zum Vorschein kommt. Und die reichlich ausgedehnten thematischen Durchführungen korrespondieren in reizvoller Weise mit Volksmelodien und ganz versteckten orthodoxen Gesängen. Diese Londoner Liveaufnahme aus dem Jahr 2015 klingt nicht übersteuert, auch wenn nicht alle Details gleichermaßen präzis zum Vorschein kommen.
Alexander Walther