Yasutaki Inamori
Mutual Understanding
für Baritonsaxophon (Es) und Tuba, Partitur und Stimme
Wenn Yasutaki Inamori sein Duo für Baritonsaxofon und Tuba mit Gegenseitiges Verständnis betitelt, so gibt er damit einen Hinweis, wie man sein Stück verstehen könnte. Nur wer versteht hier wen bzw. wie wird mittels Musik Verständnis hergestellt? Der Komponist gibt vordergründig eine relativ einfache Antwort: Die beiden Instrumente kommunizieren und verstehen sich dadurch, dass sie durchgehend das Gleiche auf ihre Art sagen. Auch wenn ich persönlich ein Gespräch, das in dieser Weise verläuft, überaus langweilig fände, ist die Kommunikation der Tuba und des Baritonsaxofons musikalisch reizvoll.
Das Stück verläuft mit kleinen Varianten durchgehend unirhythmisch, beide Stimmen werden parallel geführt, wobei sich die Intervalle zwischen den Stimmen schrittweise verschieben und sich von anfäng-
lichen Sekundintervallen hin zu Quinten erweitern. Es handelt sich also um eine Art verstimmten homofonen Satz. Rhythmisch dominieren dabei Sechzehntel-Ketten, die immer wieder durchlöchert werden. Dadurch entsteht ein Groove, der selbst in Passagen, in denen Glissandi, Zweiunddreißigstel oder Quintolen vorherrschen, immer erhalten bleibt. Dieses rhythmische Moment wird durch hervorgehobene Fortissimotöne in der Tuba bzw. Slaptones im Baritonsaxofon sowie eine vorherrschende Viertelmetrik weiter unterstrichen. Nur an wenigen Stellen verlässt der Komponist dieses groovende Grundgerüst und fügt ungerade Takte und Rhythmen ein.
Melodisch nutzt Inamori ähnliches Material. Das Minimotiv dcis vom Anfang des Stücks wird beispielsweise zu dciscisd und cisddis transformiert, in der Folge schrittweise erweitert und durch vielfache Wiederholungen, rhythmische Varianten, Permutationen und auch ganz klassische Umkehrungen als melodischer Typus gefestigt. Die Tonfolgen wirken wie gewachsen, selbst folgende Tonleiterausschnitte klingen wie aus dem Anfangsmotiv hervorgegangen.
Formal beginnt das Stück mit einer viertaktigen Introduktion, in der über einem Orgelpunkt G in der Tuba eine Folge von Multiphonics im Saxofon erklingt. Zeitgleich singt der Tubist eine chromatisch absteigende Linie. Die nachfolgenden Passagen sind ähnlich einem barocken Suiten- bzw. Variationssatz aufgebaut. Auf einen melodischen Grundtypus beziehbar wird immer wieder ähnliches Material aufgegriffen, wobei sich die einzelnen Durchführungen rhythmisch-melodisch unterscheiden und unterschiedlich lang sind. Dass die erste Durchführung periodischen Charakter hat und das Stück mit einer variierten Reprise schließt, gibt dem Duo eine innere Geschlossenheit, wirkt aber für Musik unserer Tage ein wenig anachronistisch.
Ästhetisch bietet das Duo einiges an Überraschungen. Inamori nutzt sowohl klassische Formen und Entwicklungsgedanken, typische Elemente der zeitgenössischen europäischen Musik (etwa hinsichtlich der verwendeten Klänge und Spieltechniken) als auch der heutigen Popmusik. So schreckt er nicht vor polymodalen Passagen und Tonleitern zurück und nutzt die Kraft einfacher rhythmischer Strukturen. Spaß macht das Stück allemal.
Martin Losert