Adams, John

Scheherazade.2

Leila Josefowicz (Violine), Chester Englander (Zymbalon/Hackbrett), St. Louis Symphony, Ltg. David Robertson

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Nonesuch 7559-79435-1
erschienen in: das Orchester 01/2017 , Seite 68

Bei den Donaueschinger Musiktagen 2016 verkündete der Philosoph Roger Scruton in einer Lecture, dass Arnold Schönbergs „intellektuelle Erfindung“ der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen „eine Sackgasse“ gewesen sei und „den Gesetzen des Ohrs“ widerspreche. Zuletzt hat diesen Gedanken wohl Ernest Ansermet 1961 geäußert und dazu immerhin 800 Seiten benötigt. Die neuen Traditionalisten machen es sich da einfacher und bleiben ungestraft – selbst in der Höhle der Löwen.
Da tut es gut, eine CD in die Hand zu bekommen mit einem großen Werk (ca. 50 Minuten), das bei­des, Tradition und Moderne, mit dichter Ausdruckskraft, hoher Virtuosität und einer beeindruckenden Auseinandersetzung mit der Musik des vergangenen Jahrhunderts verteidigt. Überraschenderweise kommt dieses Plädoyer für eine anspruchsvolle, gelegentlich auch atonale Moderne ausgerechnet aus den USA, denn geschrieben hat es John Adams, der bisher kaum in Verdacht stand, den Stil der Zweiten Wiener Schule zu vertreten.
Seine dramatische Sinfonie für Violine und Orchester Scheherazade.2, die 2015 uraufgeführt wurde, liegt jetzt in einer Einspielung der Widmungsträgerin Leila Josefowicz (Violine) und der St. Louis Sympho­ny unter Leitung von David Robertson vor. Der Komponist, hierzulande vor allem bekannt durch Opern wie Nixon in China, The Death of Klinghofer oder Doctor Atomic, schrieb auch ein umfangreiches Œuvre für Orchester. Am bekanntesten ist vielleicht sein Stück Harmonielehre (dessen Titel sich auf Schönbergs – traditionelle – Musiktheorie bezieht).
Zu Beginn seiner Komponisten­karriere der amerikanischen Minimal Music nahestehend, befasst sich der 1947 geborene Adams in seiner Dra­matischen Sinfonie (mit Bezug auf Berlioz) formal mit den klassischen Gattungen Sinfonie und Solokonzert, aber seine Tonsprache nutzt die klassische Moderne und bezieht sich auf Prokofjew, Bartók und Berg, daneben auch auf Strawinsky und – in der Melodieführung des Soloinstruments etwa – eben Schönberg. Die große Besetzung, zu der als zweites Soloinstrument ein Zymbalon (Chester Englander) gehört, bringt auch eine Art Tongemälde hervor und liebäugelt mit der klassischen Tondichtung: Scheherazade tritt dabei als Symbol aller kämpferischen Frauen auf; Bezüge zum Orient werden klanglich deutlich.
Die Geigerin Leila Josefowicz, die schon Adams’ 1. Violinkonzert The Dharma at Big Sur uraufführte, gibt dem Stück einen prallen, aber dennoch sensiblen Ton, die St. Louis Symphony reagiert höchst flexibel und klanglich selbst im starken Forte differenziert. Dirigent David Robertson liefert eine ausgezeichnete Arbeit ab und reiht dieses große Werk ein in die in den vergangenen Jahrzehnten entstandenen Hauptwerke der Gattung Violinkonzert von Ligeti, Rihm und Gubaidulina: Es zeigt sich, dass auch der schöne alte Bastelkasten Arnold Schönbergs doch noch nicht ausgedient hat – allen Unkenrufen zum Trotz.
Matthias Roth

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