Brahms, Johannes
Symphonies 1 & 2
Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt, Ltg. Howard Griffiths
Es gibt in Deutschland derzeit 131 Kulturorchester (ab 2016, nach der Fusion der beiden SWR-Orchester, nur noch 130). Das ist die einzigartige deutsche Orchesterlandschaft, um die uns alle Welt beneidet und
die wir uns viel Geld kosten lassen. Im Bewusstsein der überregionalen Öffentlichkeit aber spielen nur zehn bis zwanzig Orchester eine Rolle. Der Qualitätsunterschied zwischen ihnen und dem großen Rest ist jedoch bei Weitem nicht so groß, wie diese Feststellung suggeriert. Wie gering er tatsächlich ist, das belegt die vorliegende Neuaufnahme der beiden Brahms-Symphonien.
Das Brandenburgische Staatsorchester aus dem anderen Frankfurt gehört zu den ältesten und traditionsreichsten Klangkörpern Deutschlands. Es ist an allen Pulten sehr ausgewogen besetzt und verfügt über eine hohe Spiel- und Klangkultur. Dass die Streicher nicht ganz den Glanz und die Leuchtkraft der prominenten Konkurrenz erreichen, ist so selbstverständlich, dass man es eigentlich gar nicht erwähnen muss (schließlich verdient ein Geiger bei den Berliner Philharmonikern ein Mehrfaches seiner Kollegen in Frankfurt). Trotzdem: Vergleicht man Aufnahmen dieser Symphonien von den Berliner Philharmonikern oder vom WDR Sinfonieorchester Köln mit jener der Brandenburger, dann besteht da ein gradueller, aber kein prinzipieller Unterschied.
Bei diesem Vergleich wird wieder einmal evident, wie stark das künstlerische Ergebnis vom jeweiligen Dirigenten abhängt: So kann eine Brahms-Symphonie auch in Berlin gelegentlich langweilig geraten und ein inspirierender Dirigent sein Orchester in der Provinz wiederum hörbar zu Höchstleistungen beflügeln. Im vorliegenden Fall will es scheinen, als habe Howard Griffiths eine intensivere Beziehung zur 2. Symphonie von Brahms; seiner Ersten fehlt ein wenig die Wucht des Zupackens, Pathos ist nicht seine Sache. Ob man andererseits die schicksalhafte Gewalt für angemessen hält, die etwa Karajan der Einleitung der Ersten verleiht, ist Geschmackssache.
Beide Werke sind sehr sorgfältig und detailverliebt geprobt. Das orchestrale Niveau der Brandenburger ist staunenswert: Die Bläsersoli klingen makellos, etwa die heiklen Hörnersoli in beiden Symphonien. Und die Streicher bewältigen ihre anspruchsvollen Partien gleichermaßen intonationssicher. Ob man das konservierte Klangbild überzeugend findet, ist wiederum Geschmackssache: zum Beispiel, ob die ersten Geigen, ihrer Führungsrolle in der Partitur entsprechend, nicht doch etwas stärker führen dürften. Aber das ist vor allem eine Frage der Tontechnik und des Dirigenten, weniger der Spielkultur.
Man möchte dieser Einspielung also viel Erfolg und vor allem Hörer wünschen, die sich nicht von prominenten Namen verführen lassen, sondern es auf einen ernsthaften Vergleich ankommen lassen. Dem so überaus reichhaltigen Konkurrenzangebot ist diese CD jedenfalls gewachsen.
Arnold Werner-Jensen