Dinescu, Violeta
Flutes Play
Ion Bogdan Stefanescu (Flöte)
Vorhang auf für den Flötisten Ion Bogdan Stefanescu, ihm gehört jetzt 70 Minuten lang die Bühne. Solistisch mit Piccolo, großer Flöte und Bassflöte oder als virtuelles Orchester mit bis zu 32 Stimmen wird er die musikalischen Vorstellungen der Komponistin realisieren. Schon auf Violeta Dinescus CD Forgetmenot (siehe Besprechung in das Orchester 6/2013, S. 74), ebenfalls eine Zusammenarbeit mit diesem kongenialen Interpreten, hatte das mehrstimmige Stück den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen; hier ist man diesen Weg hörbar erfolgreich weiter gegangen. Die Musik der Flöten ist von faszinierender Wirkung, in den sich frei entfaltenden dialogisierenden Klängen enstehen immer wieder intensive, wunderbare Momente.
Klänge können für Dinescu die Qualität selbstständiger Gestalten gewinnen, deren Wirken sich aber, wie sie selbst sagt, dem kompositorischen bzw. spielenden Zugriff entzieht und so im Sinne einer beabsichtigten Offenheit des Kompositionsprozesses immer wieder zu unerwarteten Wirkungen führt: Musik kann etwas auslösen, das ich nicht unter Kontrolle habe. Komponieren heißt für mich, einen Hauch von Wind in diese Klangräume zu bringen, sodass sie zum Leben erwachen, so das Zitat im Begleittext der CD. Der Musikwissenschaftler Egbert Hiller versucht darin, sich diesen Klangräumen zu nähern, indem er vom Begriff Play ausgehend programmatische Hinweise auf szenische Vorstellungsinhalte gibt. In diesem Sinn sind die sich von den gewohnten Klangfarben einer Flöte entfernenden Spielweisen nicht Selbstzweck, sondern erweiterte Möglichkeiten, verschiedene und auch existenzielle Erlebnisdimensionen darzustellen, Naturerleben, Freude oder Heiterkeit, Schmerz und Trauer.
Die Wirkung der Musik lässt sich aber nicht auf solch inhaltliche Ausdeutung reduzieren. Gestaltende Elemente wie Heterofonie, gleitende Melodik und rhythmische Flexibilität, die auf die rumänische Herkunft der Komponistin verweisen, prägen ihr Erscheinungsbild. Ein Blick in ihr Werkverzeichnis zeigt, dass sie sich schon früher mit dem Thema Flutes Play auseinandergesetzt hat. Drei Stücke für drei, sechs und acht Flöten (1986) mit diesem Titel sind dort in Manuskriptform verzeichnet, man könnte sie nachspielen. Die CD Flutes Play wird man hingegen weder nachspielen wollen noch können, denn die von der Komponistin getroffenen und von den Tonmeistern kunstvoll realisierten Entscheidungen haben aus ihr ein einmaliges Werk von besonderer Art gemacht. Jede Neugestaltung der zeitlichen Abläufe und damit der Zusammenklänge in den mehrstimmigen Partien würde dann ohne dadurch den Vorwurf der Beliebigkeit auf sich zu ziehen eine völlig neue Version ergeben.
Sich auf dieses Hörerlebnis einzulassen dürfte nicht schwer fallen, weil die Lebendigkeit dieser Klangräume immer wieder neue Aufmerksamkeit weckt. Lohnend auch, die Veränderung der Wahrnehmung während der sich ständig wandelnden und doch irgendwie ähnlichen Klangkonstellationen zu beobachten. Dass aus Klängen musikalische Strukturen werden können, an denen sich das Bedürfnis nach innerer Ordnung und Wiedererkennbarkeit orientieren kann ob die Komponistin hier vielleicht auch diesem Gedanken nachgegangen ist?
Ursula Peek


