Marty, Res

Joachim Raff

Leben und Werk

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Verlag MP Bildung, Altendorf 2014
erschienen in: das Orchester 09/2015 , Seite 68

Joachim Raff (1822-1882) gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Neudeutschen Schule und wird deshalb in keinem Musiklexikon vergessen. Sonst findet man jedoch fast nur beiläufige Erwähnungen, etwa als Sekretär Franz Liszts oder als Direktor des Hoch’schen Konservatoriums in Frankfurt am Main, und wer sich mit ihm näher befassen möchte, der wird vergeblich suchen. Es gibt über ihn nämlich kaum Spezialliteratur, und unter dem Wenigen ist das meiste völlig veraltet. Überdies sind seine Werke, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts noch zum festen Konzertrepertoire gehört hatten, heute aus den Programmen nahezu verschwunden – lediglich seine unzählige Male bearbeitete Cavatine besaß lange Zeit eine geradezu fatale Popularität, weil sie als Salonmusik rezipiert wurde und so eine seriöse Auseinandersetzung mit Raff sogar eher verhinderte.
Dabei hat Raff ein umfangreiches, sich über alle Genres erstreckendes Schaffen hinterlassen, in dem besonders die programmgebundene Instrumentalmusik auffällt, wie zum Beispiel die Sinfonie nach Gottfried August Bürgers Ballade Lenore, ein Sinfoniezyklus über die vier Jahreszeiten oder ein Streichquartett zur Schönen Müllerin; hinzu kommt vielfältige Vokalmusik (Lieder, Chormusik – darunter das große Oratorium Weltende – Gericht – Neue Welt sowie Opern). Nur der  Tonträgermarkt bietet seit den 1990er Jahren einige Einspielungen an (vor allem Orchesterwerke) und erlaubt wenigstens so einen eingeschränkten Einblick in sein Werk.
Außerdem setzt sich seit 1972 die Joachim Raff-Gesellschaft in seinem Geburtsort Lachen bei Zürich für ihn ein, und deren derzeitiger Präsident hat nun nach jahrzehntelanger Vorarbeit eine imposante Monografie über den Komponisten vorgelegt. Das großformatige Schwergewicht von mehr als zwei Kilo ist durchgehend und überwiegend farbig mit Porträts, Fotos, schönen Titelseiten historischer Musikdrucke, Faksimiles und verschiedenen Gemälden (darunter Landschaften und Stadtansichten) bebildert.
Der ergiebige Text setzt sich hauptsächlich aus zeitgenössischen Dokumenten zusammen, darunter viele hier erstmals veröffentlichte Briefe und historische Pressereaktionen, und lässt Raffs Persönlichkeit und seine ganze Epoche lebendig werden. In biografischer Hinsicht bleiben also keine Wünsche offen, und ein Vergleich mit etwa Ernst Burgers großen Chopin-, Liszt- und Schumann-Bänden drängt sich auf.
Allerdings ist Marty kein Musikwissenschaftler, und sofern nicht die zitierten Quellen auf Raffs künstlerische Bedeutung eingehen, fehlen weitgehend analytische Ausführungen, eigene Gedanken zur Stilistik oder Ästhetik und vor allem erhellende Notenbeispiele. Überdies vermisst man ein Werkregister, und eine materialreiche Studie diesen Zuschnitts müsste eigentlich auch ein wenigstens knapp kommentiertes Werkverzeichnis enthalten. Gleichwohl bietet Marty eine höchst informative Lektüre, die zur weiteren Beschäftigung mit Raff geradezu nötigt, und einen Prachtband zu einem erschwinglichen Preis.
Georg Günther

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