Sibelius, Jean

Konzert für Violine und Orchester

d-Moll op. 47, Früh- und Endfassung, hg. von Timo Virtanen, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2014
erschienen in: das Orchester 07-08/2015 , Seite 69

Sibelius’ Violinkonzert ist längst ein Klassiker des Repertoires. Verbreitet hatte sich nach zunächst mäßigem Erfolg die im Druck erschienene zweite Fassung von 1905, die auch heute noch meistens auf den Programmen steht. Nun liegt aber als Teil der Gesamtausgabe (Serie II, Werke für Violine und Orchester) die Erstfassung für den internationalen Markt in einer wissenschaftlich fundierten Ausgabe vor. 2008 erschien der Band, der von der finnischen Nationalbibliothek und der Sibelius Society initiiert und von Timo Virtanen betreut wurde. Spätestens seit den 1990er Jahren interessierten sich Interpreten auch für die Erstfassung des Violinkonzerts, wie der Geiger Leonidas Kavakos mit seinen Aufführungen beim Orchester in Lahti. Beide Versionen nun in einem Band vergleichen zu können, ist erhellend – für Interpreten wie für Wissenschaftler. Ergänzend kann man die wichtigen Partitur- und Kompositionskizzen in Sibelius’ Handschrift im gleichen Band als Faksimile studieren. Es war ein Work in Progress, denn vor allem die Instrumentation wurde offenbar bis in die 1930er Jahre kritisiert; der Orchestersatz wäre zu vereinfachen und zu symphonisch.
Die Geschichte der Entstehung des Werks, der Umstände der geplanten Widmung an den Geiger Willy Burmester, die Umarbeitung, die Reaktion der zeitgenössischen Kritik, die Chronologie der Uraufführung der Zweitfassung durch Richard Strauss in Berlin (19. Oktober 1905), all das ist in dem sehr informativen englischen Vorwort des Herausgebers Timo Virtanen zu lesen, das Frank Reinisch ins Deutsche übertragen hat. Der Text ist überaus fundiert und zugleich fast so spannend wie ein Krimi, eine Eigenschaft, die man bei wissenschaftlicher Literatur gern immer anträfe.
Der Autor stellt nicht nur die Entstehung und Umarbeitung des Werks vor, sondern auch, wie Sibelius geschäftstüchtig und im Kontakt zu den führenden Solisten seiner Zeit zu dessen Verbreitung beitrug, sei es, weil er die Noten der zweiten Fassung weltweit den führenden Geigern schickte, oder sei es, weil es angehende Solisten in den Hochschulklassen in den Ausbildungskanon aufnehmen sollten. Der ungarische Geiger Ernst von Vécsey war, so das Vorwort, „der eifrigste Vorkämpfer für Sibelius’ Konzert. […] Von Vécsey nahm das Konzert in die Programme seiner Konzertreisen auf und informierte Sibelius über den Erfolg der Aufführungen.“ Autor Virtanen liefert auch Hinweise auf die Rezeptionsgeschichte bis in die Zeit der Platteneinspielungen durch Jascha Heifetz und Guila Bustabo. Ein umfassender kritischer Bericht mit einem detaillierten und übersichtlichen Verzeichnis der Herkunft der einzelnen Quellen rundet diesen Band ab. Die Ausgabe besticht durch ihr ansprechendes Druckbild und ist außerdem gut gebunden. Diese Qualität dürfte auch den hohen Preis rechtfertigen.
Gernot Wojnarowicz

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