Werke von Walther Geiser, Heinrich Sutermeister, Peter Mieg und anderen
Swiss Aspects
Orchestermusik aus dem Aargau 1945-1970, Argovia Philharmonic, Ltg. Douglas Bostock
Das Argovia Philharmonic kann inzwischen auf mehr als ein halbes Jahrhundert reger Konzerttätigkeit zurückblicken und hieß früher mal ganz unprätentiös und für jeden verständlich Aargauer Symphonie Orchester. Bei der vorliegenden CD handelt es sich um den Livemitschnitt des Festkonzerts zum 50-jährigen Orchester-Bestehen im April 2013, mit einem Programm, das beste musikalische Traditionspflege betreibt: Fünf Komponisten aus dem Kanton Aargau sind hier versammelt, die ob immigriert, emigriert oder für immer daheimgeblieben in der Nachkriegszeit einer gemäßigten Moderne huldigten und versuchten, einen an Arthur Honegger geschulten Neoklassizismus in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zu tragen. Dabei handelt es sich größtenteils um Ersteinspielungen!
Walther Geisers Fantasie II op. 34 (1945) sind die Schrecken des Zweiten Weltkriegs noch anzuhören, transformiert in eine Orchestersprache, die sich irgendwo zwischen Schostakowitsch und Hartmann bewegt. Einer düster und abgründig vor sich hin schwelenden Einleitung folgen elegische Lamenti und ein verklärtes Ende in Form eines hymnischen Chorals. Heinrich Sutermeister lässt es in seinem Marche fantasque (1950) wesentlich unversöhnlicher angehen und treibt martialische Rhythmen voran, wie eine stampfende, stumpfsinnige Motorik des Kriegs, die im Klavier leider viel zu brav und schüchtern erscheint, im Orchester aber am Ende doch zu den nötigen Steigerungen fähig ist.
Ausgesprochen neoklassizistisch hingegen kommt das viersätzige Concerto da Camera (1952) von Peter Mieg daher, der auch als Schriftsteller und Maler aktiv war. Das verkappte Klavierkonzert (Solist Rafael Rütti) ist ausgesprochen rhythmisch gedacht und präsentiert tänzerische Leichtfüßigkeit mit so manchen Jazz-Anleihen. Als Flüchtling kam der 1936 in Budapest geborene János Tamás 1956 im Zuge des Ungarnaufstandes in die Schweiz. Es ist der Serenade (1958) des 22-Jährigen nachzusehen, dass sie wie eine nostalgische Erinnerung im Dunstkreis von Bartók anmutet, die von pathetischen Zügen nicht frei ist klingendes Heimweh sozusagen.
Interessant, dass die bemerkenswerteste Musik hier von einem Komponisten stammt, der seiner Heimat 1956 den Rücken kehrte und nach Brasilien ging. Ernst Widmer (1927-1990), im Schnitt 20 Jahre jünger als Sutermeister und Co., macht klar, dass der Konservatismus der Schweizer Musik in den ersten Nachkriegsjahrzehnten keine nationale Angelegenheit war, sondern eine Generationenfrage. Mit Quasars op. 69 (1970) schuf er eine ganz eigenwillige, wilde Melange aus Klangkomposition, südamerikanischen Rhythmen und romantischer Orchesterdramatik. Eine hochexplosive Mischung diverser klanglicher Aggregatzustände, die das Aaargauer Orchester zu heftigen Entladungen bringt.
Dirk Wieschollek


