Schlumpf, Martin
The Five Points”
für Klarinette und Streichquartett, Partitur und Stimmen
Ein Klarinettenquintett, dessen Struktur der Komponist als von einem amerikanischen Filmepos inspiriert beschreibt in diesem Falle von Martin Scorseses The Gangs of New York , kommt einem auch nicht alle Tage unter. Berührungsängste sind dem Schweizer Martin Schlumpf, wie bereits seine Vita ausweist, eher fremd. 1947 in Aarau geboren, befasst er sich früh ausgiebig mit Jazz, spielt als Kontrabassist und Saxofonist in verschiedenen Formationen, studiert ab 1968 in Zürich Klarinette und Klavier, dazu Dirigieren, und bei Rudolf Kelterborn und später in Berlin bei Boris Blacher Komposition. Seit 1977 ist er Professor für Musiktheorie an der Zürcher Hochschule der Künste und unterrichtet dort auch Gruppenimprovisation. Seinen eigenen Kompositionsstil beschreibt er als postmodern. Einflüsse der Zweiten Wiener Schule mischen sich u. a. mit tonalen Elementen.
Five Points ist ein Stadtteil in New York. So wie dort die verschiedenen Immigrantengangs in Scorseses reichlich gewalttätigem Film ihre Auseinandersetzungen austragen, so vollzieht sich nach Schlumpf musikalisch die formale Gestaltung im Spannungsfeld zwischen Kontrast und Analogie der fünf Sätze des Stücks, jeder mit unverwechselbar eigener charakteristischer Prägung: auch hier ein Schmelztiegel verschiedenartiger musikalischer Gestalten. Das Ganze ist vorstellbar als Promenade zwischen den fünf Ecken der ,Five Points, wo die verschiedenen Gangs ihre Standorte hatten. Die Längen der einzelnen Sätze habe ich nach der [
] Fibonacci-Reihe strukturiert, bei der sich jede folgende Zahl durch Addition ihrer beiden vorherigen Zahlen ergibt. Dabei gliedern sich die Sätze so, dass vom ersten kürzesten Satz aus (55 Sekunden) die Dauern kontinuierlich zunehmen [
]. Da in der Fibonacci-Reihe jeweils gute Annäherungen an den Goldenen Schnitt enthalten sind, lassen sich die Längenverhältnisse der fünf Sätze auch als dreifacher Goldener Schnitt beschreiben [
] Zudem werden geneigte Ohren an wenigen Stellen der letzten drei Sätze versteckte Anklänge an die Musik des Klarinettenquintetts op. 115 von Johannes Brahms von 1891 hören können.
Daneben gibt es noch manch anderes zu entdecken: eine etwas irische, quasi folky Textur im 2. Satz, immer wieder Alban-Berg-Reminiszenzen (Lyrische Suite), dessen expressive Klangsprache ich in manch gesanglicher Partie durchschimmern zu hören meine, im 4. Satz wohl das Herzstück des Werks gelegentliche Anklänge an Free Jazz und natürlich eine Portion Charles Ives, der insbesondere im 4. und 5. Abschnitt um die Ecke zu schauen scheint. Gerade das expressive Ende des Werks wirkt auf mich wie eine Hommage an diesen Großmeister der amerikanischen Musik. Auffällig dazu die Passagen, in denen sich ein Instrument meist die Klarinette gegen ein chorisch geführtes Quartett zu behaupten hat: Offensichtlich auch dies eine Analogie zu Scorsese, ohne dass die Musik des pardon! etwas reißerischen Bezugs bedürfte.
Insgesamt wirkt die Tonsprache bei aller Modernität auch beim ersten Anhören und für eher avantgarde-skeptische Zuhörer durchaus nahbar, dabei in ihrer Originalität und Ausdrucksstärke eindrucksvoll. Gut proben sollte man das Werk allerdings: Es ist nicht ganz einfach.
Herwig Zack


