Eggers, Katrin / Nina Noeske (Hg.)
Musik und Kitsch
Ligaturen - Musikwissenschaftliches Jahrbuch der Hochschule für Musik und Theater Hannover
 	Die Herausgeberinnen nehmen sich eines reizvollen wie aktuellen Themas an. Konkreter Anlass für den Band ist die Ausstellung Böse Dinge  eine Enzyklopädie des Ungeschmacks des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe von 2013. Diese wiederum bezieht sich auf eine 1909 in Stuttgart veranstaltete Ausstellung vom Kunsthistoriker Edmund Pazaurek, in der es um Geschmacksverirrungen ging. Kitsch, ein deutsches Lehnwort mit großer internationaler Ausstrahlung, taugt als Begriff zur Abgrenzung stilistischer und moralischer Klassifikationen, und damit steht auch im Zentrum, was eine Gesellschaftsgruppierung als Kitsch betitelt, damit die Welt in Gut und Böse unterteilt und sich selbst als Gruppe identifiziert. Böse nämlich, so erfahren wir, war jener gut gemachte, aber gesinnungslose Kitsch, der hohe Kunst sein wollte. Richard Strauss war insofern ein neuralgischer Punkt in der Kitschdebatte. Aber spätestens seit den 1970er Jahren wurde das Phänomen auch um- und aufgewertet, durch das Eindringen des Camp, wie es in dem Band durch Susan Sontag belegt wird. Ein Schlingern ist zu verzeichnen, bei dem es nicht nur um die Zuordnung geht, sondern der Begriff selbst eine Modifikation in Richtung Hochkunst erfährt und damit zu dem wird, wovon es sich gerade abzusetzen galt. Das ist eine sehr aufschlussreiche Verschiebung, der auf den Grund zu gehen sich lohnt.
 	So breit der historische Horizont an Themen dieses Bandes ist  er reicht vom Loreley-Kitsch (Melanie Unseld) über das Dritte Reich (Guido Heldt), von Adorno und Dahlhaus (Beate Kutschke) bis zu Stalin-Kitsch (Matthias Tischer) und Rom-Sehnsucht (Sabine Meine) , bleibt der Fokus stets auf Deutschland gerichtet. Dies wäre durchaus legitim, wird aber an keiner Stelle konzeptuell erwähnt oder reflektiert. Problematisch wird das, wenn andere Länder ins Spiel kommen. So ist zwar der Stalin-Kitsch offensichtlich, wird aber nicht interkulturell untersucht. Spätestens an dieser Stelle stellt sich ein ebenso methodisches wie epistemologisches Problem: Ist es möglich, in einer wissenschaftlich distanzierten Betrachtung einem Phänomen auf die Spur zu kommen, das deutlich einem Geschmacksurteil verpflichtet ist und daher das Subjektive der Wahrnehmung überdeutlich markiert? Sicherlich nur hinsichtlich ästhetischer und soziologischer, sogar politischer Funktionen. Dies eben wären brennende Fragen zum Kitsch gewesen, denen die vorliegenden Studien in ihrer sicherlich gediegenen und sauber recherchierten Form zuarbeiten, aber nur teilweise genügen.
 	Michael Lehner nimmt in seinem Beitrag zu Strauss eine hybride Position ein, indem er die rezeptionsgeschichtlichen Topoi des Kitsches beim umstrittenen Komponisten herausarbeitet und den Gegensatz zu Mahler in den Sichtweisen Adornos und Blochs klar markiert, dabei aber nicht vergisst, das Gelungene bei Strauss zu betonen. Allzu wenig aber wird auf die Gegenwart Bezug genommen.
 	Der Band schließt mit einem Fazit, das fast wie ein Aufgeben klingt: die Rückkehr des Plüschigen, das nicht als Subversives des Camp benannt wird, sondern für Gefühlswelten steht, die nicht wegzurationalisieren sind. Dabei allerdings besteht die Gefahr, dass sich so etwas wie unreflektiertes Nationalbewusstsein einschleicht.
 	Steffen A. Schmidt


            
            
            