Werbeck, Walter (Hg.)
Richard Strauss Handbuch
 	Aus Anlass seines 150. Geburtstags ist eine Reihe neuer Publikationen über Richard Strauss erschienen, die womöglich wichtigste, sicher jedoch nützlichste ist ein Handbuch, das sich vor allem als Nachschlagewerk anbietet. Über den bedeutenden Komponisten scheint alles gesagt. Sein Werk ist lückenlos dokumentiert, und es ist unwahrscheinlich, dass nach dem späten Fund des Liedes Malven (von Wolfgang Rihm instrumentiert) noch eine unbekannte Komposition auftaucht. Und doch wird man hier fündig. Über ein Dutzend meist deutscher Autoren beleuchten den Musiker und den Menschen Strauss von allen Seiten, sodass auch der Kenner noch Neues erfährt. Die vom Herausgeber erstellte minutiöse Zeittafel umfasst allein 22 Seiten. Sie ist in die Bereiche Biographisches, Konzerte und Dirigate und Werke dreigeteilt und gibt einen ersten Überblick. Dabei erfährt man privateste Dinge: über die Tanzstunde des Jünglings, jede Reise oder den Kauf des ersten Autos schon 1908. Danach geht es weiter ins Detail. Selbstverständlich wird jedes einzelne Werk umfassend und sachkundig kommentiert und ist mit Hilfe entsprechender Register leicht auffindbar. Bei den Opern ist sogar eine Diskografie angegeben.
 	Man lernt Strauss als glühenden Wagner-Verehrer kennen  Richard Wagner war ein Genie, ich bin ein Talent, nicht mehr  oder den Meister der Instrumentation, geschult an Wagner und Berlioz, dessen Instrumentationslehre er neu herausgab. Interessant zu lesen sind auch die Kapitel über den langen Weg zu einer Urheberrechtsgesellschaft (heute GEMA), an deren Anfängen Strauss maßgeblich beteiligt war, oder über seine zahlreichen Verleger, denen er, unnachgiebiger Geschäftsmann, härteste Bedingungen stellte. Natürlich wird Strauss bis heute umstrittene Rolle im Dritten Reich unter der etwas harmlosen Überschrift Präsident der Reichsmusikkammer ausführlich erörtert, eine ambivalente Rolle, die manche als Opportunismus eines in Grunde Unpolitischen verharmlosen, während andere, wie kürzlich in einer Zeitungskritik, ihn immer noch einen wendigen Hitler-Lakai nennen. Zum selben Schluss kam auch Klaus Mann, der den greisen Meister als amerikanischer Soldat und Journalist inkognito in Garmisch besuchte und in einem (im Handbuch nicht erwähnten) Brief an seinen Vater hart verurteilte: Ein Künstler von solcher Sensitivität  und dabei stumpf wie der Letzte, wenn es um Fragen der Gesinnung, des Gewissens geht. Ein großer Mann  so völlig ohne Größe!
 	Doch ist der Erzkonservative, an dem der Aufbruch in die musikalische Avantgarde spurlos vorüberging, der die Atonalität geradezu hasste, fast 70 Jahre nach seinem Tod populär wie eh und je: Von seinen 15 Opern sind etwa die Hälfte, ein Großteil seiner Tondichtungen und viele seiner Lieder weltweit im Repertoire präsent. Als Komponist ein Weltbürger, blieb Strauss doch ein heimatverwurzelter, bürgerlicher Bayer mit Villa in Garmisch, der gern Bier trank und leidenschaftlich Skat spielte und dem seine Familie über alles ging. Im Handbuch lernt man ihn als großen Musiker, aber widersprüchlichen Charakter kennen.
Ursula Klein


            
            
            