Brüggemann, Axel

Genie und Wahn

Die Lebensgeschichte des Richard Wagner

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Beltz & Gelberg, Weinheim 2013
erschienen in: das Orchester 07-08/2013 , Seite 65

Nein, im Wagner-Jahr 2013 darf es nun wahrlich keiner, der irgendwie mit Wagner zu tun hat, versäumen, ein Wagner-Buch vorzulegen. Der Autor dieses Exemplars, Axel Brüggemann, moderiert seit 2012 zusammen mit Katharina Wagner die Kinoübertragungen von den Bayreuther Festspielen und fügt also den vielen langen Bibliotheksregalmetern der bereits existierenden Wagner-Biografien mit diesem Buch zwei weitere Zentimeter hinzu.
Der etwas reißerische Titel seiner Wagner-Lebensgeschichte, Genie und Wahn, gibt dabei schon einen Vorgeschmack auf die Herangehensweise: Es geht hier nicht um Wissenschaft oder neue Erkenntnisse, sondern um ein gut lesbar und spannend geschriebenes Buch in lebendiger, heutiger Sprache, das sich eher an den Wagner-Anfänger als an den wohlwissenden Wagner-Weisen richtet.
Der Autor beginnt also mit einer kurzen Einleitung, die den Tristan-Akkord als revolutionären Akt der Musikgeschichte beschreibt, bevor ein Einblick in die Geschichte der Bayreuther Festspiele folgt, in dem – wie das heute in jeder Biografie dieses Komponisten zum Standard gehört – die Rolle des Wagner-Clans im „Dritten Reich“ thematisiert wird. Anschließend folgt das Buch Wagners Leben in chronologischer Reihenfolge und geht zwischendurch auf seine Werke ein. Zum Abschluss gibt’s dann nochmal Bayreuth und Nazizeit; ob dem Autor die Wiederholung diverser Details aus dem ersten Kapitel hier entgangen ist oder ob er sie bewusst nochmals betonen wollte, kann man nur vermuten.
Bei den Kapiteln zum Werk hat man sich keine harmonische Analyse vorzustellen: In seiner Schilderung der Handlung beschreibt Brüggemann jeweils in einigen emotionalen Vokabeln die Musik und stellt dann eine oder mehrere Deutungsmöglichkeiten des Geschehens vor. In der Lebensschilderung hebt sich das Buch ein wenig von den meisten anderen Wagner-Biografien ab, indem immer wieder menschliche oder pikante Details geschildert werden, die für Werk und Analyse unwesentlich sind, den Meister aber ein wenig von seinem Sockel heben und dem vom heutigen Journalismus geprägten Leser näher bringen sollen; sei es durch die ausführliche Schilderung der diversen Wagner’schen Liebschaften inklusive der Gefühlswelten der Damen, sei es durch exakte Angaben zu seiner geringen Körpergröße (auch im Vergleich zu Cosima). Und auch in den Bayreuth-Kapiteln geht es mehr um Atmosphäre („Katharina Wagner sitzt in ihrem Büro im Festspielhaus. Ein Friseur macht ihr gerade die Haare.“) als um tiefgründige Einblicke in die heutige Wagner-Rezeption auf dem Grünen Hügel und anderswo.
Insofern wirkt das Buch aus Sicht des wissenschaftlichen Betrachters so, als habe der Autor eben auch ein Wagner-Buch schreiben wollen, ohne dafür allzu viel Mühe aufzuwenden. Aus Sicht des Normalbürgers aber muss es in Zeiten von Wagner-Opern im Public-Viewing vielleicht auch – und gerade – Bücher geben, die ihm einen Komponisten, der im Allgemeinen eher als unzugänglich betrachtet wird, ganz einfach menschlich
interessant machen.
Andrea Braun

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