Brahms, Johannes / Alban Berg
Violin Concertos
Dont judge a book by its cover. Im Fall der neuen CD des Geigers Renaud Capuçon ist aber offenbar genau dies nahe liegend: Das leicht verschwommene sepiaartige Schwarz-Weiß-Porträt des Ausnahmeviolinisten spricht eine vergangene Bildsprache. Auch interpretatorisch suchen Capuçon und sein kongeniales dirigentisches Gegenüber, Daniel Harding, den Austausch mit einer vergangenen Tradition. Mit unterschiedlichen Erfolgen.
Im Fall des Brahmsschen Konzerts wählen Capuçon und Harding, auf Augenhöhe agierend, einen kraftvollen, spätromantischen, oftmals geradezu brachialen Zugang zum Werk, was sich auch in der Wahl der virtuosen Solokadenz von Fritz Kreisler spiegelt. Capuçon entlockt seiner Guarneri, auf der schon Isaac Stern konzertierte, eine energische Virtuosität mit einem vollen, strahlenden Sound und genau austariertem breiten Strich, eine Grandezza und Agilität, die dann in zarten Pianopassagen nicht vollständig zurückgenommen werden kann. Harding nutzt den Brahms-Instinkt der Wiener Philharmoniker und verhindert wie etwa zu Beginn des zweiten Satzes geschickt ein Zuviel an Sentiment. Eine Plastizität wie in seinen Brahms-Sinfonie-Einspielungen mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen ist offenbar nicht intendiert. Orchesterapparat und der vor Intensität manchmal fast brechende Geigenklang Capuçons kooperieren auf dieser Virgin-Classics-Aufnahme symbiotisch.
Einen anderen Ansatz sucht Harding mit Bergs Violinkonzert Dem Andenken eines Engels. Das Berg-Konzert ist eine CD-Premiere für die Wiener Philharmoniker. Harding motiviert das Orchester zu schwebenden, außerweltlichen Klängen. Auf den sehr dichten Klangflächen des Orchesters blüht Capuçons Geigenton lieblich, zart, traurig, verzweifelt, immer mit starker, eindeutiger Emotion. Seine Spieltechnik taugt treffsicher für diese Musik, die 57 Jahre nach Brahms Violinkonzert ebenfalls am Wörthersee komponiert wurde. Es liegt wohl im so unterschiedlichen Wesen der beiden Violinkonzerte, dass sie obwohl in räumlicher Nähe entstanden, doch so selten miteinander für CD-Aufnahmen gekoppelt werden. Fast überdeutlich klar erklingen in Hardings Interpretation die emotionalen Kontraste dieses Requiems für Alma Mahlers Tochter Manon. Wenn im zweiten Satz des Werks die Kärntner Volksweise erneut aufscheint und vor Zartheit und Schmerz beinahe erstirbt, hat Harding sein Ziel erreicht: Der goldene Klang der Wiener Philharmoniker und die Energie des Franzosen verschmelzen.
Katharina Hofmann


