Vinci, Leonardo

Artaserse

Dramma per musica, 3 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Virgin Classics 50999 6028692 5
erschienen in: das Orchester 04/2013 , Seite 70

Nichts hat das Musikleben in den vergangenen Jahrzehnten mehr revolutioniert als die Wiederentdeckung der Alten Musik, vor allem die des Barock. Werke von Komponisten, die zuvor allenfalls Fachleuten ein Begriff waren, begeistern heute in entsprechend historisch bewusster und kenntnisreicher Wiedergabe ein großes Publikum. Die Entwicklung der Aufführungspraxis hat dabei noch vor Jahren kaum vorstellbare Fortschritte gemacht und ein zuvor verschlossenes Repertoire zu neuem Leben erweckt. Die vorliegende Aufnahme einer der berühmtesten Opern der Barockzeit, Leonardo Vincis Artaserse auf einen Text des genialen Operndichters Pietro Metastasio, stellt in diesem Zusammenhang einen vorläufigen Gipfelpunkt des Möglichen dar.
Natürlich heißt das nicht, dass hier ein getreues Abbild des Musizierens von vor rund 280 Jahren geboten würde. Das kann und wird es nicht geben, denn nicht zuletzt gibt es aus ethischen Gründen glücklicherweise heute keine Kastraten mehr. Aber hinsichtlich Quellenkenntnis und Stilempfinden, vor allem aber im Blick auf die sängerische und instrumentale Meisterschaft und die Intensität, ja glanzvolle Aura des Vortrags stellt dieser Artaserse ein Nonplusultra dar.
In der für Rom komponierten Oper singen nur Männer, auch in den Frauenrollen, und nur in hoher Lage. Ein Tenor in der Vaterrolle des Artabano ist die tiefste Stimme. Das hat mit realistischem Theater nichts zu tun. Im Gegenteil: Im wahrsten Sinne ist das hohe, ja höchste Kunst in einem mehrfachen Sinn des Wortes. Die Gattung der Opera seria lebt ja von stilisierten Affekten und einer artifiziell entfalteten Handlung. Die Sprache der Musik entspricht dem in kunstvollen Formen und filigranen Zierfiguren. Vinci ist ein großer Meister des Genres, erst recht in dem schon von Zeitgenossen gerühmten Einklang mit den Versen Metastasios.
Der Hörer tritt mithin ein in eine ferne und fremde Welt. Die entfaltet freilich bei solch einem beglückenden Singen und Spielen einen betörenden und unwiderstehlichen Zauber. Diego Fasolis lässt am Pult des mitreißend spielenden Concerto Köln Vincis Musik vom ersten Takt der Ouvertüre bis zum jubelnden Finalchor mit leuchtendem Feuer, einer sagenhaften Sinnlichkeit und größter Feinheit in der Affektgestaltung musizieren.
Im Ensemble mit fünf Countertenören und einem Tenor begeistert Franco Fagioli als Arbace einmal mehr – wie bei seinem sensationellen Ariodante bei den Karlsruher Händel-Festspielen – auf den Spuren des Kastraten Carestini mit einem Barockgesang, der jede Phrase, jede Koloratur kunstvoll einfärbt und mit Ausdruck erfüllt. In der Titelrolle glänzt Philippe Jaroussky durch die schwerelose und zugleich blühende Art des Singens. Der in pointierter Manier singende Max Emanuel Cencic als Mandane und Valer Barna-Sabadus, der mit hell leuchtender Stimme als Semira auftritt, geben die beiden weiblichen Partien. Der Tenor Daniel Behle gibt den Artabano mit beweglicher Diktion, eine individuelle Note bringt Yuriy Mynenko als Megabise ein. Eine Jahrhundertaufnahme!
Karl Georg Berg

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