Schubert, Franz / Sergei Taneyev / Johann Sebastian Bach

Five Stringed Tenor Viola

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Unimoz 48
erschienen in: das Orchester 10/2012 , Seite 75

Wer so wie ich diese CD einlegt, ohne zuvor das Cover gründlich studiert zu haben, stutzt schon nach den ersten paar Sekunden von Schuberts Arpeggione-Sonate in a-Moll D 821. Seltsam schnarrend klingt das tiefe Register dieser Bratsche, mitunter etwas flach. Noch ein paar Takte später outet sich das Instrument als Hybrid: Es ist eine fünfsaitige Viola mit tiefer E-Saite, die sich der Mozarteums-Professor Thomas Riebl vom Markneukirchner Geigenbaumeister Bernd Hiller hat bauen lassen.
Über die Gründe gibt der Bratscher im Programmheft Auskunft: “Je öfter ich die Arpeggione-Sonate spielte, umso größer wurde mein Wunsch, nicht an vielen Stellen in die höhere Oktave ausweichen zu müssen.” Mithin zog die zusätzliche fünfte Saite eine weitere Anpassung nach sich: Die erschwerte Ansprache der Saite, die etwa so dick ist wie die C-Saite eines Violoncellos, machte einen schwereren Bogen notwendig. Mit einer Korpuslänge von 441 Millimetern, erhöhter Zarge, verstärktem Boden und dickerer Decke klingt die Tenor-Bratsche so einem – allerdings virtuos traktierten – Kinder-Cello nicht unähnlich. Die Handvoll tiefer Töne im ersten Satz lassen den Sinn eines solchen Neubaus mitnichten als nötig erscheinen; schon eher überzeugt die tiefschwarze, sonore Abwandlung des Mollthemas im Adagio.
Von der transponierten Fassung der sechsten Bach’schen Solosuite BWV 1012 für die Interpretation auf eben jenem Instrument werden Apologeten wiederum ihre eigene Meinung haben. Wer nicht absolut hört und deswegen irritiert ist, für den bietet sich hier über alle Sätze hinweg ein rundes und überzeugendes Klangbild, freilich einer Gambe ähnlicher als einer Bratsche.
Das spannendste Drittel der CD jedoch ist die Ersteinspielung des Trios für Violine, Viola und Tenorviola op. 31 von Sergei Taneyev in der Originalbesetzung. Nächstes Jahr jährt sich die Uraufführung des Werks zum einhundertsten Mal; wenn das keine Gelegenheit ist, das komplexe, trotzdem herrlich eingängige Schmuckstückchen wiederzuentdecken! Jubelnd tun sich manches Mal die beiden hohen Instrumente zusammen und verbünden sich gegen die trotzig zupfende Tenor-Viola; ein kleines Scherzo ist eingeschoben, bevor der expressive dritte Satz in melancholischen Kantilenen schwelgt – und Riebl die Registerstärken des Hil­ler’schen Neubaus noch einmal schwelgerisch ausspielen darf. Ein lustvoll voranpreschendes Presto-Finale zieht den Sack zu.
Für dieses Trio – und weniger für eine möglicherweise minimal befriedigendere Interpretation der Schubert’schen Arpeggione-Sonate – hat sich der Ausflug in die Welt der Tenor-Viola auf jeden Fall gelohnt. Wer nun nicht gleich einen Instrumenten-Neubau in Auftrag geben möchte, greife zur Notenfassung für Violine, Viola und Violoncello (Wollenweber, Kunzelmann) oder für Violine und zwei Violen (Silvertrust).
Martin Morgenstern

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