Hinrichsen, Hans-Joachim (Hg.)
Bruckner-Handbuch
Das Handbuch als das umfassendste und aktuellste Kompendium zu Leben, Werk und Rezeption Bruckners will den Zugang zu diesem schwierigen Komponisten erleichtern, so heißt es im Klappentext dieser Neuerscheinung. Darin finden sich Artikel zu Bruckners Leben, Lehrtätigkeit, musikalischer Genese, Beziehung zur Orgel, Arbeitsweise, zur Rezeption seiner Werke und natürlich zu seinen Sinfonien und seiner geistlichen und weltlichen Vokal-, Kirchen-, Kammer-, Bläser- und Tastenmusik.
Sämtliche Autoren beweisen in den im Allgemeinen gut gegliederten Texten beeindruckende Detailkenntnisse wobei es allerdings nur wenigen gelingt, diese so zu formulieren, dass man den im Vorwort proklamierten Anspruch auf durchgängig gute Lesbarkeit als erfüllt ansehen könnte. Sicher, dies ist ein Nachschlagewerk das aber doch (Zitat Vorwort!) die Vorzüge der übersichtlichen Gliederung eines solchen mit den Vorteilen eines verständlichen und flüssig geschriebenen Lesebuchs zu vereinen bestrebt ist. Leider bezeigt das Gros der Verfasser jedoch eine ausgesprochene Neigung, seine Erkenntnisse in geschraubter Wissenschaftssprache unters Volk zu bringen angefangen von der Wahl der (Fremd-) Worte und syntaktischen Konstruktionen bis hin zu Unarten wie dem penetranten Gebrauch von einfachen Anführungszeichen.
Inhaltlich überzeugt das Buch durch die breite Herangehensweise an Leben und Werk, durch die gründliche Einordnung Bruckners in den gesellschaftlichen und musikhistorischen Kontext seiner Zeit wie auch durch die ausführlichen Werkanalysen. Andererseits wirft die Lektüre aber auch viele Fragen auf. So verwundert es etwas, dass immer wieder von der großen, symphonisch besetzten Kirchenmusik die Rede ist als Bruckners Hauptgattung neben der Sinfonie; dabei überwiegt faktisch die klein besetzte! Dann fragt man sich, warum im Kapitel über Bruckner-Schüler nicht mit einem Wort Gustav Mahlers gedacht wird der doch sowohl des Meisters Vorlesungen lauschte als auch an dessen freundschaftlichen Treffen mit seinen Schülern teilnahm. Oder es schreibt der eine Autor, es sei vollkommen unbekannt, ob und über welche literarischen Interessen Bruckner verfügte, aber er habe eine erstaunliche Formulierungsgabe besessen, während ein anderer konstatiert, Bruckner habe weder literarische Interessen noch Bildung besessen, ein dritter gar von Illiterarität spricht. Was nun? Und auch, wenn in der Einleitung der Einfluss der Orgel in Bruckners Werk auf wenige Stellen der frühen Orchesterwerke beschränkt wird, im Kapitel über seine Musik im Allgemeinen jedoch von grundsätzlichen Einflüssen der Orgelmusik in den Sinfonien die Rede ist, wird deutlich, wie ambivalent das dargestellte Wissen dann doch zu sein scheint. Alles Kleinigkeiten, gut aber ersteht man ein solches Handbuch nicht gerade auch, um solche Kleinigkeiten zu klären? So ist dieses Buch vor allem interessant für den, der sich tiefergehend und ohne vorherige Partiturstudien mit Bruckners Werk befassen möchte, nicht für den Bruckner-Fachmann oder aber den Laien, der sich dem Menschen Anton Bruckner annähern möchte.
Andrea Braun


