Werke von Eduard Toldrà, Ottorino Respighi, Komitas und Nino Rota

Southern Tunes

Ensemble Esperanza, Ltg. Chouchane Siranossian

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Ars Produktion ARS 38 247
erschienen in: das Orchester 09/2018 , Seite 79

Um es gleich zu sagen: Für diese Produktion können eine angemessene Bewertung nur fünf Punkte sein. Das mit jungen Musikerinnen und Musikern aus zwölf Ländern besetzte Ensemble Esperanza legt seine zweite CD vor. Die erste war vor zwei Jahren Nordischen Suiten gewidmet und bot neben der bekannten Holberg-Suite von Grieg Entdeckungen von Nielsen, Bridge und Holst. Ein Werk aus dem Standardrepertoire fehlt bei dieser zweiten Einspielung gänzlich, und das ist auch gut so. Southern Tunes, also „Südliche Melodien“, lässt Raum für ganz unterschiedliche Kompositionen, die alle im frühen 20. Jahrhundert entstanden sind und den Mittelmeerraum von Katalonien bis in den Nahen Osten ausschreiten.
Katalonien? Ausgerechnet in dieser Zeit enthusiastischer Unabhängigkeitsbestrebungen tritt uns hier die jugendfrische, wie Morgensonne auf dem Meer glänzende Suite Vistes al mar, also „Blicke auf das Meer“, von Eduard Toldrà entgegen, einem katalanischen Weltbürger. Mit dem Poeten Joan Maragall (1895-1962) zählte er zu den Protagonisten der „katalanischen Renaissance“, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert für eine Wiederbelebung des Katalanischen in allen Lebensbereichen sorgte. „Eine im Gegensatz zur Politik äußerst weltoffene und aufnahmefähige Bewegung“, beeilt sich das informative Beiheft zu betonen. Toldrà war Geiger, Orchesterleiter und Komponist in Barcelona. Die Vistes al mar entstanden 1921 und werden vom Ensemble Esperanza mit aller Leidenschaft, Zartheit und (im zweiten Satz) auch Schwermut gespielt, die solch einem emotionalen südeuropäischen Werk angemessen sind.
Besonders spannend in ihrer Vielfalt und – bedenkt man historische Hintergründe – zu Tränen anrührend sind neun Miniaturen, die der armenische Cellist Sergei Z. Aslamazian aus der Sammlung von armenischen Liedern des legendären Mönchs Komitas (1869-1935) zusammengestellt hat. Zu hören sind schlichte, unbeschwerte Melodien ebenso wie feurige osteuropäische Tänze in wechselndem Rhythmus, geheimnisvoll wispernde Miniaturen. Und Lamenti, so scheint es, die voll von fassungsloser Traurigkeit sind über das Schicksal und die Vertreibung des armenischen Volkes im Jahr 1915. Weit spannt Esperanza unter Leitung der vielseitigen Konzertmeisterin Chouchane Siranossian den Klang auf, lässt Geigen flirren und setzt mit zwei kroatischen Bassisten ein felsenfestes Fundament.
Dem gegenüber steht die italienische Leichtigkeit von Ottorino Respighi (1879-1936), der als Komponist einen erstaunlichen Spagat zwischen neobarocker Klarheit (wie hier in der verhältnismäßig unbekannten Suite per archi) und den grandiosen impressionistischen Klangmalereien der Pini oder Fontane di Roma hinlegt. Schließlich nochmal eine Entdeckung mit dem Concerto per archi von Nino Rota (1911-1979), der als Filmkomponist zu den Größten gehört, ansonsten aber eher unterschätzt wird – zu Unrecht, wie dieses Werk beweist. Das ist auf grandiose Weise emotional aufgeladener Klassizismus, nicht ohne eine Spur Ironie und damit Leichtigkeit.
Johannes Killyen