Beaumont, Antony
Zemlinsky
Biographie
Wie der Autor, so sein Buch! Antony Beaumont hat sich auf vielfältigste Weise um Alexander Zemlinsky verdient gemacht. Mit der Tschechischen Philharmonie hat er die Sinfonik eingespielt und so den Erörterungen seines Buchkapitels Aufführungspraxis die praktische Ergänzung geliefert. Er hat das Notenmaterial vieler Werke einer kritischen Revision unterzogen, hat Verschollenes zu Tage gebracht und mit der Rekonstruktion des König Kandaules dieser Oper 1996 in Hamburg nachträglich den Uraufführungserfolg verschafft. Und seine gründlichen Recherchen hatten die Herausgabe von Alma Mahlers Tagebuch-Suite als Nebensache und diese grandiose Zemlinsky-Biografie als Endprodukt zum Ergebnis. 2001 lag sie in englischer Sprache vor und die erweiterte und verbesserte deutsche Fassung kann nun als Standardwerk gelten.
Wenn Beaumont feststellt, dass Zemlinskys Popularität ähnlich wie die Schrekers oder Korngolds seit drei Jahrzehnten kontinuierlich und enorm gewachsen ist, dann darf er für sich geltend machen, dabei als Dirigent, Musikologe und Biograf mitgewirkt und zum Verständnis der existentiellen, schaffenspsychologischen, ästhetischen und sozialen Aspekte des Phänomens Zemlinsky, des Fin de siècle und der Wiener Moderne beigetragen zu haben.
Ganz gleich, welche Anforderungen man also stellen mag dieses Buch erfüllt sie alle. Es erweist sich erschöpfend und neu als Lebensbeschreibung und Zeitdokument; es gibt Auskunft zur Persönlichkeit und deren Agieren in wechselnden gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Feldern. Es vertieft sich in das Schaffen und in kulturtheoretische Erörterungen; widmet sich dabei den Werken aber eher punktuell, um doch an einem Lied-Beispiel modellhaft das gesamte Instrumentarium der musikalischen Analyse vorzuführen. Es legt Gemeinsamkeiten zwischen ihnen offen und spürt Verbindungen zu den Zeitgenossen auf. Es liefert mit vielen Zitaten und authentischen Äußerungen eine originell aufbereitete und gewichtete Text-Melange von intimen Einblicken und Auskünften, von Wissenschaft und Unterhaltung, von Tiefsinn und Tratsch. Und das alles richtig zu seiner Zeit und am rechten Ort!
Da erleben wir sie höchst lebendig: Brahms und den vergötterten Gustav Mahler als Förderer; Alma Mahler, die viel begehrte und selbstverliebte Muse; die Schüler Korngold und Schönberg. Die ersten Erfolge als Dirigent und Komponist in Wien; die fruchtbaren Jahre als angesehener Opernchef und Verfechter der Moderne am Prager Deutschen Theater; das international viel beachtete Wirken an der Berliner Kroll-Oper; schließlich das Ende des vereinsamten Emigranten in New York.
Dann nach dem Krieg die staunende Wiederentdeckung der Bühnen- und Orchesterwerke, der Kammermusik und der Lieder. Der Autor befragt sie intensiv nach dem Zusammenhang von Leben und Kunst; seine Erkenntnisse bringt er dem Leser facettenreich und eindringlich nahe. Was sich dabei als schlüssige Darstellung und Interpretation ergibt, wird durch über hundert Seiten Anhang faktenreich unterstützt. Biografie, Kulturgeschichte, Musikführer, Aufführungshilfe umfassender und souveräner geht es kaum! Beaumont macht im großen Rahmen einsichtig, was der Dichter Franz Werfel, die Person und den unüberhörbar zarten Ton der Musik vor Augen, in einen kleinen Satz gefasst hat: Wenn ich die Menschen an mir vorüberziehen lasse, denen ich gesteigerte Lebensaugenblicke als höchsten Dank schulde, so ist Alexander Zemlinsky unter den wenigen einer der deutlichsten.
Eberhard Kneipel