Hesketh, Kenneth

Wunderkammer(konzert)

for thirteen players, Studienpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 09/2013 , Seite 73

„Wunderkammer“? Gemeint ist wohl das „Kuriositätenkabinett“ des 16., 17. und 18. Jahrhunderts: ein besonderer Raum im Schloss, in dem der Schlossherr Absonderlichkeiten, Gruseliges, Exotisches, Seltenes, Makabres, aber auch besonders Kostbares unter Verschluss hielt. Man durfte die ausgestellten Objekte betrachten, mit wohligem Schauder ob der Welten Wunder.
Wie sehen musikalische „Kuriositäten“ aus? – besser: wie hören sie sich an? Mit Humor und Witz präsentiert der Komponist musikalische Gesten, Passagen, Instrumentenkombinationen und Zusammenstellungen, die stutzig machen und ungewohnt sind – ungewohnt in merkwürdiger Verschränkung von Bekanntheit und Fremdheit. Ganz wesentlich tragen Vortragsbezeichnungen und Spielanweisungen dazu bei, einen ironischen „Ton“ anzuschlagen: „Grandioso e con forza“, „con bravura“, „con passione e grandioso“, „luminoso“, „giubilante“ – um nur einige zu nennen. Der Aus-Klang (im wahrsten Sinne des Wortes), die „Grande sonnerie“ am Schluss des dritten und letzten Satzes, zeigt, wie das ganze Ensemble sich zum großen Glockengeläut zusammentut. Es entsteht ein Jubeln, Singen und Klingen: eine große Fläche, die in sich bebt und vibriert, wobei Repetitionsfiguren einander immer anders überlagern. Die natürlich vorzufindende Differenziertheit von „Geläut“ wird hier weitergetrieben, gesteigert – bis hin zum Skurrilen. Ein anderes Beispiel: Vibrafon und Klavier spielen zusammen, unterstützt von Gongs und tiefen Streichern. Es entsteht eine Art „Super-Klavier“, ein erweitertes Klavier.
Die Wunderkammer stellt sehr hohe Anforderungen an die Virtuosi-tät der Ensemblemitglieder: Jeder Spieler ist quasi Solist. Holzbläser (Flöte, Oboe, Klarinette in A) wechseln (Piccolo, Englischhorn, Bassklarinette), ebenso wechselt das Klavier („doubling Celesta“); die Perkussionsinst­rumente sind ungemein vielfältig. Der fünfsaitige Kontrabass trägt dazu bei, dass das Ensemble von insgesamt 13 Spielern (Flöte, Oboe, Klarinette, Klavier, 3 Mal Perkussion, Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass) weite Resonanzräume erschafft. Die Wunderkammer – ein „Konzert“? Zweifellos, aber doch ein Konzert für Solisten (Plural), eines, das widersprüchliche Konstellationen und Kombinationen nicht scheut.
Das Werk wurde von 13 Mitgliedern des Royal Liverpool Philharmonic Orchestra (dem Ensemble 10/10) unter der Leitung von Clark Rundell am 19. November 2008 in Liverpool uraufgeführt. Kenneth Hesketh wurde im Herbst 2007 „Composer in the House“ beim Royal Liverpool Philharmonic Orchestra; seither hat er dort eine ganze Reihe von Werken geschrieben.
Die drei Sätze des Wunderkammer(konzerts) tragen die Überschriften: „The Grand Ordo of Hephaestus’ Children“, „Karakuri in the temple of Athene“ und „Escapements within the Cartesian Machine“. Solche programmatischen Erläuterungen sind wie Einträge in der Partitur (z.B. „at midnight, let the owl select his favourite refrain…“ Disperato e dolorosamente) ein Kuriositäten-Angebot an das Auge.
Eva-Maria Houben