Works for Cello and Piano by Beethoven, Webern, Bach, Ligeti and Stravinsky

Deutscher Musikwettbewerb, Laureate/Preisträger 2005

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin GEN 87084
erschienen in: das Orchester 12/2007 , Seite 88

„Sterne möglicher Cellozukunft“ ist ein Kapitel in Harald Eggebrechts jüngst erschienenem Buch Große Cellisten, „Helden der Gegenwart“ ein anderes. Möglicherweise findet sich anlässlich einer Neuauflage des Buchs in einigen Jahren hier oder dort auch der Name Nicolas Altstaedt wieder. Dass der 1982 Geborene das Zeug dazu hat, beweist die vorliegende CD nachdrücklich, wobei Altstaedt übrigens bereits in der Erstausgabe des Eggebrecht-Buchs kurz auf der cellistischen Weltbühne erscheint. Hier wird berichtet, dass kein Geringerer als Mstislav Rostropowitsch anlässlich des Kronberg Festivals 2003 den begabten Studenten Altstaedt ermahnte: „You must compose! Keine Kopie sein!“
Dass Altstaedt „komponiert“, will sagen: kraft eines starken Ausdruckswillens nach interpretatorischer Originalität strebt, ist gewiss auch jenen Künstlerpersönlichkeiten zu danken, die – wie das Booklet verrät – prägenden Einfluss auf den jungen Cellisten ausübten: sein Lehrer Boris Pergamenschikow, Gidon Kremer, mit dem Altstaedt gemeinsam in Lockenhaus aufgetreten ist, und nicht zuletzt Nikolaus Harnoncourt, den Altstaedt seit Jugendtagen bewundert.
In Beethovens sperrig-genialer C-Dur-Sonate gestalten der Cellist und sein an dieser Stelle pauschal, doch nichtsdestoweniger enthusiastisch zu lobender Klavierpartner Francesco Piemon-tesi das fantastische, gleichsam E.T.A.-Hoffmann’sche Moment ebenso intensiv wie die dem Werk innewohnende unbändige rhythmische Energie. Farbig und brillant exekutiert das Duo Strawinskys Suite Italienne, eindrucksvoll lässt sein Spiel in den nur selten in direkter Sequenz präsentierten Werken von Anton Webern (zwei unveröffentlichten Stücken von 1899, den Drei Stücken op. 11 sowie einem Sonatenfragment von 1914) den unfassbar schnellen Entwicklungsgang von „intakter“ Spätromantik bis zur Pulverisierung tradierter musikalischer Gesten kurz vor dem Ersten Weltkrieg nachvollziehen.
Dass Altstaedt über phänomenale technische Möglichkeiten und eine immens reiche Farbpalette verfügt, wird insbesondere in György Ligetis Solosonate von 1953 erlebbar, während sich seine Interpretation der 5. Solosuite von Johann Sebastian Bach als permanente Gratwanderung zwischen profund-stilkundigem Zugriff und pseudo-barocken Manierismen erweist. Hier zeigt sich die heutzutage nicht selten anzutreffende Tendenz, Barockmusik „harnoncourtiger“ als der Papst spielen zu wollen… wenn diese Formulierung einmal gestattet sein mag. Reizvoll, aufgrund ihrer Artifizialität jedoch zugleich verstörend ist Altstaedts Idee, in einigen Tanzsätzen mittels einer beigemischten, separat aufgenommenen 2. (Bass-) Stimme an die Vielstimmigkeit der Lautenfassung desselben Werks (BWV 995) erinnern zu wollen.
Ungeachtet kritischer Einwände bleibt der Eindruck, hier einem fulminanten jungen Musiker begegnet zu sein, möglicherweise einem „Helden der Zukunft“.
Gerhard Anders