Konrad, Ulrich
Wolfgang Amadé Mozart
Leben, Musik, Werkbestand
So viel Mozart war nie wie in diesem Jahr. Nach Durchsicht aller anlässlich des Jubiläumsjahrs erschienenen wichtigen oder überflüssigen Biografien und Romane, in denen sich Musikwissenschaftler, Journalisten oder Kochbuchautoren mit Mozart befassen, kann man sich nur Ulrich Konrad anschließen: Hin und wieder bedarf es provozierender Thesen, die das Nachdenken über große Künstler (wie Mozart) kraftvoll anstoßen.
In seinem dreiteilig angelegten Buch über Leben, Musik und Werkbestand des Komponisten huldigt der renommierte Musikwissenschaftler erfreulicherweise weder dem gängigen Mozart-Bild vom Götterliebling noch gibt er sich zufrieden mit Scheinwissen und bequemen Erklärungen. Dankenswerterweise vermeidet es der Autor, die vielen Lücken um Mozarts Leben mit erzählerisch-spekulativer Fantasie zu schmälern. Das sei auch gar nicht nötig schließlich, so Konrad, sei von keinem Musiker des 18. Jahrhunderts so viel vergleichbar aussagekräftiges Material, was die Überlieferung an primären und sekundären Quellen betreffe, erhalten geblieben.
Konrad schildert in seinem Buch, das wohl zu den besten der Mozart-Neuerscheinungen gehört, anschaulich, wie die Mozart-Forschung trotz der günstigen Quellenlage doch vor manchen unüberwindlichen Schwierigkeiten stand: Immer noch spekulativ bleibe Mozarts Verhältnis zu Salieri oder die wirkliche Ursache der finanziellen Misere des Gutverdienenden. Und vor allem die Entstehungsumstände des Requiems lägen weitgehend im Halbdunkel bloßer Vermutungen.
Weiter beschäftigt sich Konrad mit dem Faszinosum der Wirkungsgeschichte im Falle Mozart: Hierfür macht er das zu allen Zeiten von der Musik Mozarts unerschöpfliche Angebot an unterschiedlichen Projektionsflächen verantwortlich. Er führt dabei Beispiele an, inwiefern sich Dichter und Philosophen mit dem Werk und der Künstlerexistenz Mozarts auseinander setzten, bis hin zur Popularisierung der Musik-Idiome Mozarts durch Theaterstück und Kinofilm Amadeus, wohl der zeitgeistigste Versuch einer Entmythologisierung des damals gängigen Mozart-Bildes. Konrad warnt deshalb nicht grundlos vor dem Reduktionismus auf ein einziges Verstehensmodell und mahnt die vielen Mozart-Biografen zur Selbstkontrolle.
In kurzen, prägnant überschriebenen Artikeln zeichnet Konrad Mozarts Lebensweg analog der jeweils entstandenen Werke nach. Akribisch beschäftigt sich Konrad mit Abstammung und Verwandtschaft Mozarts, belegt die Fakten über musikalische Grundausbildung des Knaben Wolfgang Amadé, berichtet ausführlich über die ersten Reisen jenes jungen Menschen mit den superieuren Talenten, dessen Spiel eine Aura des Wunderbaren umgab. Sehr informativ die vielen Tabellen, die schnell und übersichtlich Auskunft geben über jene Kavalierstouren und Bildungsreisen, wie Konrad die Reisen Mozarts nicht selten bezeichnet.
Was dieses Mozart-Buch allerdings besonders lesenswert macht, ist sein zweiter Teil, in dem es um die Grundzüge von Mozarts Kompositionsstil geht, um jenes breite Spektrum an Fakturen für Kenner und Nichtkenner, das Mittelding, Gelegenheitsarbeiten, um Alte und Moderne Musik, um jene produktive Verschmelzung von gelehrtem und galantem Stil. Obwohl Konrad der Ansicht ist, dass sich die in ihrer Verschiedenheit so reichhaltige Musik Mozarts jedem Versuch der eindeutigen musikhistorischen Verortung und jeglicher Beschreibung ihres kunsthaften Gemachtseins entziehe, gelingt es ihm in diesem zweiten Teil beispielhaft, die verschiedenen Stilphasen von Mozarts uvre zu erklären. Ob die Frage der Gattungshöhe zu Mozarts Zeit, ob die formalen Gestaltungsräume und -prinzipien, derer sich der Komponist bediente, ob Grundsätzliches zur Analyse des Tonsatzes wer dieses Buch gelesen hat, ob Musikfreund, -student oder -journalist, bei dem wird sich jene Satisfaktion einstellen beim Hören von Mozarts Musik, die, so Konrad, Mozart ja selbst schon festgestellt und beabsichtigt hatte.
Der dritte Teil des Buchs, das ausführliche Mozart-Werkverzeichnis, ist als handliches Taschenbuch auch einzeln erhältlich. In übersichtlicher Tabellenform wurden hier die neuesten Forschungsergebnisse zum Werkbestand zusammengeführt. Das systematische, nach Gattungen gegliederte Werkverzeichnis schließt nicht nur den bekannten Bestand ein, sondern gibt Auskunft unter anderem auch über Fragmente, Skizzen sowie die eigenhändige Abschrift fremder Werke durch Mozart und listet u.a. auch die Textanfänge von Gelegenheitsgedichten und Lustspielentwürfen auf, an denen der Komponist sich einst versuchte.
Dagmar Zurek