Oberhoff, Bernd
Wolfgang A. Mozart, Don Giovanni
Ein psychoanalytischer Opernführer
Zwischen Musik und Emotion gibt es vielfältige Gemeinsamkeiten. Insbesondere die Oper gilt als Genre, bei dem mächtige Gefühle die Zuschauer ergreifen können. Alexander Kluge spricht von der Oper zu Recht als einem Kraftwerk der Gefühle. Andererseits: die Psychoanalyse Siegmund Freuds (und seiner Schüler) hat wie kaum ein anderer Ansatz das Nachdenken über Eigenarten und Bedeutung von Emotionen für den Menschen beeinflusst, insbesondere wenn es um archaische Erfahrungen im Umfeld von Liebe und Aggressivität/Tod geht. Was liegt deshalb näher, als sich der Oper mit ihren eigenwilligen Libretti aus psychoanalytischer Perspektive zu nähern?
Bernd Oberhoff (Diplompsychologe, Gruppenanalytiker) hat diese reizvolle Herausforderung bereits mehrfach angenommen und sich Opern im Geiste Siegmund Freuds genähert. Nun hat er sich einer weiteren Mozart-Oper zugewandt, der vom Libretto her vielleicht heikelsten, dem Don Giovanni. Er beginnt mit dem markanten bedrohlichen Doppelakkord zu Beginn der Ouvertüre, der zunächst vordergründig als Einstich und
Wiederherausziehen der Waffe (S. 19) interpretiert, nach entsprechender freudianischer Orientierung jedoch als frühkindliche paranoide Vergeltungs- und Vernichtungsangst (S. 33) gedeutet wird.
Damit ist eine für Oberhoff zentrale Argumentationsfigur vorgegeben: die moralische Verruchtheit Don Giovannis (die bisweilen etwas moralinsauer dargestellt wird) ist Folge frühkindlicher emotionaler Defizite. Das mag so sein (andererseits, wer wollte das bei einer Bühnenfigur eindeutig diagnostizieren?), jedoch: Der Text und erst recht die Musik geben auch nach Lektüre dieses Büchleins keinen Anlass oder gar Beleg für eine derartig weit reichende Verursachungshypothese.
Oberhoff geht sehr großzügig mit Freuds Theorie um, wenn er z.B. die Beziehungen zwischen Donna Anna, dem Komtur und Don Giovanni als ödipales Dreieck begreift. Eine solche Interpretation erscheint jedoch äußerst fragwürdig, besteht der ödipale Konflikt doch gerade darin, dass der Sohn die Mutter lieben will, es bei Mozarts Don Giovanni jedoch lediglich darum geht, dass ein Casanova wahllos in großer Zahl Frauen verbraucht (sofern man Leporellos Behauptungen glauben darf). Zu welch riskanten und fragwürdigen Schlussfolgerungen eine so zwanghafte Denkweise führen kann, mag ein Zitat belegen: Die souveräne Art und Weise, wie Don Giovanni hier seinen (ödipalen) Rivalen aus dem Felde schlägt, kann psychodiagnostisch durchaus so verstanden werden, dass dieser Mensch auf einem ödipalen Niveau eine intakte und stabile Konstitution aufweist. Man könnte diese Stärke wertschätzen, wenn nicht diese Gehetztheit und der manische Aktivitätsdrang da wären, die darauf verweisen, dass diese forsche Männlichkeit in ihrem Kern Abwehrcharakter besitzt und ihn wie ein Schutzpanzer vor einem Aufkommen von depressiven Gefühlen bewahren soll. (S. 69)
Oberhoff diskutiert vor allem das Libretto. Musikalisch sucht er gelegentlich Schützenhilfe bei Kurt Pahlen oder bietet eigene Früchte der musikalischen Exegese an: Eine sich wiederholende charakteristische Abwärtsbewegung bei den Geigen deutet bereits an, dass es jetzt mit dem Tarnen und Täuschen zuende ist. (S. 73) Überlegungen aus der Musikpsychologie zur Ein- bzw. Mehrdeutigkeit des musikalischen Ausdrucks sind dem Autor vermutlich nicht bekannt. Bisweilen scheint es ihm auch an Distanz zu fehlen, wenn er etwa beklagt, dass es ärgerlich sei, mit welch einer Gefühlskälte und Aggressivität Don Giovanni hier in eine Liebesbeziehung eindringt. (S. 55)
Aus wissenschaftlicher Perspektive handelt es sich um einen überflüssigen Text, als literarisches Produkt kaum zu empfehlen, zu rigide und stilistisch schwerblütig gibt sich der Autor. Ein Opernführer? Ich zumindest fühle mich in die Irre geführt.
Klaus-Ernst Behne