Jungheinrich (Hg.), Hans-Klaus

woher? wohin?

Die Komponistin Kaija Saariaho

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2007
erschienen in: das Orchester 01/2008 , Seite 59

Wie ein Puzzle fügt sich zusammen, was Hans-Klaus Jungheinrich, Tomi Mäkelä, Ivanka Stoianova, Wolfgang Sandner, Ellen Kohlhaas, Barbara Zuber und Éva Pintér zu Biografie und kultureller Verwurzelung, zu Oper und Vokalmusik, zu Klangstruktur und Textdeutung beisteuern, um ein Bild von Kaija Saariaho und ihrer Kunst zu gewinnen. Gelegenheit dazu gab das Symposium am 16. September 2006 in der Alten Oper Frankfurt am Main; Ergebnis ist ein weiterer Band der edition neue zeitschrift für musik, der sich wiederum nicht nur durch Kenntnis- und Informationsreichtum, sondern auch durch (ein unterschiedlich großes Maß an) Authentizität auszeichnet – hergestellt durch die Teilnahme der Porträtierten an der Veranstaltung. Doch die finnische Komponistin lieferte eher den Komplementär-Titel „anwesend/abwesend“ zu dem des Buchs: Sie steuerte auf Nachfrage zwar die eine oder andere Information über ihr Schaffen bei, doch flotte Rede ist ihre Sache nicht, und Sprechen über Musik scheint ihr, wenn überhaupt notwendig, mit Schwierigkeiten behaftet. Umso mehr kann man den Autoren bescheinigen, dass sie es vermocht haben, Klischees, die sich mittlerweile als Gemeinplätze sedimentiert haben – weibliches Komponieren, sensible Farbkunst, zerbrechliche Traum-Musik, work in progress –, begrifflich fundiert zu ersetzen.
Das Porträt Saariahos ist feinsinnig vom Äußeren der Biografie ins Innere der Klänge gezeichnet. 1952 in Helsinki geboren, werden ihr Paavo Heininen zum prägenden Kompositionslehrer, Darmstadt und Brian Ferneyhough sowie Freiburg und Klaus Huber zu wesentlichen Impulsgebern und Paris mit Gérard Grisey, IRCAM und Opéra Bastille zur künstlerischen Heimat. Und der libanesische Schriftsteller und Historiker Amin Maalouf zum wichtigen Partner, nicht nur als Librettist der Opern L’amour de loin (Salzburg 2000) und Adriana Mater (Paris 2006). Diese bringen die großen Themen Liebe und Tod, Mutterschaft und Krieg ebenso intim wie engagiert ins gegenwärtige Musiktheater zurück. Und bündeln, was Saariaho zuvor und danach, als Exposition und Kommentar in unterschiedlich besetzten und dimensionierten Solo-, Chor-, Orchester- und Kammermusikwerken, mit einer zunehmend präziseren Ausarbeitung von musikalischem Material und kompositorischem Denken gestaltet.
Letzteres gründet weniger auf Relationen zwischen den Tönen, sondern auf der Analyse und Synthese ihrer Bestandteile: Die spektrale „Harmonie-Klangfarbe“ eröffnet neue materiale Möglichkeiten und formale Strategien. Der Verlauf von Punkten, Linien und Flächen „bildet“ Entwicklung ab: Saariaho hält die Musik im Fluss, die Dinge im Wandel, die Dramaturgie narrativ; ihre Kunst lässt utopisches Potenzial nicht hinter sich. Sie gilt ihr – visuell inspiriert, poetisch verinnerlicht, auch brutal fremd – „als Summe unserer Wahrnehmungen und Erfindungen“. Sie ist ein Kosmos, „in dem Traum und reale Welt auf dialektische Weise verschmelzen und immer wieder kontroverse – deshalb um so faszinierendere – Einblicke in das Innenleben des künstlerischen Individuums ermöglichen“ (Pintér). Forschend verschließt sie sich aber dem Außen nicht. Woher sie auch kommt; wohin sie auch geht…
Eberhard Kneipel