Heymann, Eberhard

Wörterbuch zur Aufführungspraxis der Barockmusik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Dohr, Köln 2006
erschienen in: das Orchester 12/2006 , Seite 81

Eberhard Heymann, eigentlich Naturwissenschaftler von Beruf, fiel beim eigenen Musizieren auf, wie viele Begriffe, die in barocken Kompositionen als Aufführungshinweise auftauchen, ungeklärt sind oder dogmatisch verwendet werden. So kam ihm die Idee zu einem Wörterbuch, das die damals gebräuchlichen Begriffe nicht mit modernen Definitionen erklärt, sondern die der historischen Quellen verwendet. Dabei entstand eine wertvolle Hilfe zum Verständnis der barocken Aufführungspraxis.
Von „abbellimento“ bis „Zwicker“ werden auf 266 Seiten in großer Dichte und bewunderungswürdiger Sammelarbeit Hunderte von Begriffen geklärt. Schon allein diese Fülle macht dieses Buch zu einem unentbehrlichen Nachschlagewerk für alle, die Barockmusik spielen. Ein umfangreiches Quellenverzeichnis ermöglicht es, vom Autor aufgezeigte Spuren weiterzuverfolgen. Besonders verdienstvoll ist die akribische Zusammenstellung aller Symbole für die verschiedenen Verzierungen mit Verweis auf ihre Quellen. Was man bislang in verschiedenen Quellenwerken mühsam suchen musste, wird hier in prägnanter Kürze und in Form einer übersichtlichen Tabelle gezeigt. Die Tugend naturwissenschaftlichen Sammelns und Ordnens wird so für die Musik fruchtbar.
Verdienstvoll ist auch, dass Heymann musikalische Sachverhalte mit Notenbeispielen illustriert. Man kann sich so ein Bild etwa vom „lombardischen Rhythmus“ oder von der „acciaccatura“ machen.
Ein Problem eines Wörterbuchs ist freilich die notwendige Kürze der Darstellung, die zu einer allzu großen Vereinfachung führen kann. Deshalb stellt Heymann einige wichtige Wörter auch mit längeren Artikeln vor. Dabei werden freilich auch Grenzen seiner Methode des Sammelns deutlich. Die „typischen cadenzas“, die er für Musik des 16. und 17. Jahrhunderts gegenüberstellt, sind für den Leser so nicht sehr aufschlussreich. Erst wenn man sie in den Kontext des polyfonen bzw. des akkordischen Satzes stellen würde, könnte es dem heutigen Spieler zum Verständnis der Musik helfen. Es müssten also nicht nur Wörter erklärt, sondern musikalische Entwicklungen dargestellt werden. Doch das würde die Anlage eines „Wörterbuchs“ entschieden sprengen.
In manchen Teilen wäre diesem Buch eine größere Straffung zu wünschen. Warum beispielsweise ist eine Liste von Kastraten notwendig, die freilich keineswegs vollständig ist? Schwierig wird es auch in Bereichen, die zurzeit neu erforscht und gewertet werden. So hat gerade Greta Moens-Haenen in ihrem neuen Buch Deutsche Violintechnik im 17. Jahrhundert plausibel gemacht, dass die barocke Violinhaltung ohne Kinnstütze keineswegs generell galt. Heymann dagegen gibt noch den bisherigen, oft dogmatisch verfochtenen Wissensstand wider.
Doch abgesehen von diesen kleinen Inkonsequenzen, die hoffentlich in einer weiteren Auflage beseitigt werden können, hat dieses Buch das Zeug zu einem Standardwerk für die Aufführungspraxis von Barockmusik.
Franzpeter Messmer