Theodorakis, Mikis
Wo find ich meine Seele?
Lieder von Krieg und Frieden
Lieder von Krieg und Frieden, geschrieben von Mikis Theodorakis, nachgedichtet von Paul Hoorn, gesungen in deutscher Sprache, eingespielt von der Gruppe Das blaue Einhorn. Die Kantate Mauthausen, Anne Frank-Ibrahim-Emiliano…
Was für eine Doppel-CD halte ich da in Händen? Was sind das für Lieder? Um es kurz zusammenzufassen: Diese Einspielung will die beiden Zyklen Ta Lyrika und Axion esti inhaltlich und stilistisch vereinen. Kein leichtes Unterfangen, denn es handelt sich bei diesen Werken um einen sehr kunstvollen polyfonen Chorzyklus und ein Volksoratorium für Solisten, Chor und Orchester. Demgegenüber steht die Besetzung des Blauen Einhorns: eine Sängerin, ein Sänger am Akkordeon, eine Gitarre, eine Violine, ein Kontrabass. Und dann noch die große Herausforderung, die beeindruckenden und extremen Texte aus dem Griechischen ins Deutsche zu übersetzen.
Extreme Texte, die jeden fühlenden deutschen Hörer an Herz und Seele packen: Ihr Mädchen von Auschwitz, von Dachau ihr Mädchen, habt ihr nicht meine Geliebte gesehn
wir sahen sie auf einem kalten Platz stehn mit einer Nummer auf dem weißen Arm und einem gelben Stern auf ihrem Herzen
und niemals wird jemand wieder sehen, wie schön du bist. Ach, welche Totenstille herrscht im Land der großen Dichter jetzt! Man zeigt ihn an bei der SS und hin zum Galgen führten ihn die Mörder jetzt. Es fällt mir schwer, mich bei diesen erschütternden Texten auf einen musikkritischen Höreindruck einzulassen, doch es sei versucht. Wie klingt das Ganze also?
Sofort entsteht der Eindruck, diese Musiker sind nicht im Konzertsaal, sondern z.B. auf einem Folkfestival zu Hause. Nicht auf den ausgebildeten Ton der Trompete, nicht auf ein volles Streichervibrato und nicht auf die ausgewogene Anschlagskultur des Gitarristen kommt es hier an, sondern auf das unmittelbare Erleben der Musik und ihren textlichen Inhalt. Der dem Chanson verhaftete Gesang des Protagonisten Paul Hoorn passt dazu, wie auch die natürlich und unverbildet tönende Stimme von Karolina Petrova. Bei der Aufnahmetechnik verlässt sich die Gruppe auf eigene Kräfte: Die CDs werden im hauseigenen Tonstudio vom Gruppenmitglied Andreas Zöllner produziert. Das tut dem unmittelbaren Erleben dieser Musik gut. Sie wurde direkt und ohne verwischende Hallbeimischung aufgenommen. Die besondere Färbung und Dehnung von Vokalen, ausgeprägte stimmlose Konsonanten, eine Gesangsweise, die dem Chanson nahe, einer klassisch ausgebildeten Stimme aber weit entfernt ist, hört man so plastisch. Die Musiker spielen rhythmisch immer präzise und aus einem Guss.
Letztlich kommt es nicht darauf an, inwieweit das eingangs erwähnte Unterfangen gelungen ist, denn weder interpretatorisches Können noch Arrangeurkunst können die Schwere dieser Texte durchdringen. Einzig die Liebe, mit der sich Das blaue Einhorn der Musik widmet, vermag das.
Ulrich Christoph Müller