Hilmes, Oliver

Witwe im Wahn

Das Leben der Alma Mahler-Werfel

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Siedler, München 2004
erschienen in: das Orchester 01/2005 , Seite 81

Was wäre das Ei ohne Frühstück? – oder, was wäre Alma ohne ihren Gustav? Diese etwas provokante Frage scheint auf den ersten Blick überflüssig, denn was hatte Mahler für seine Frau übrig? Er, der Genius, brauchte sie nicht für seine Unsterblichkeit, er vernachlässigte seine Frau sträflich, die immer selbstbewusster mit ihren Reizen umging und diese einsetzte – das Ei war auf das Frühstück also nicht angewiesen. Alma Mahler-Werfel als „Hure der vier Künste“, die bereits 1898 eine „große That thun“ wollte, als Femme fatale, die der intellektuellen Männerwelt den Kopf verdrehte und damit eine zweifelhafte Unsterblichkeit erlangte, spukt rechtzeitig zum 125. Geburtstag durch die Geisteswelt.
Vierzig Jahre nach ihrem Tod wirft nun Oliver Hilmes die wohl fundierteste Biografie der Alma Mahler-Gropius-(fast Kokoschka-)Werfel auf den Büchermarkt. Außer dem erst 2001 erschienenen und überaus lesenswerten rororo-Bändchen von Astrid Seele gab es bislang wenig, was das Leben Mahler-Werfels wirklich erhellte, zumal die Heldin unliebsame Tatsachen aus ihrem Blickwinkel usurpierte und verdrehte und ihr dadurch viele auf den Leim gingen. Erstmals wurden Tagebücher, teilweise unveröffentlichte Briefe, Dokumente und Interviews herangezogen sowie ihre späten Schriften kritisch verglichen, aber auch die Psychoanalytik bemüht – eigentlich ein gefährliches Unterfangen – und das Geschriebene mit tausend Fußnoten und einem riesigen Quellennachweis sowie einem Literaturverzeichnis dokumentiert.
Dabei entstand ein teilweise schockierendes und erschütterndes, aber vom Autor grundehrlich gemaltes Bild einer von Alkohol, Exzessen, Hysterie und Widersprüchen gezeichneten Persönlichkeit, mit der man am Schluss nur noch Mitleid hat. Ihr Ressentiment gegen Juden, ihr tief sitzender Antisemitismus, der sich wie ein roter Faden durch Alma Mahler-Werfels gesamtes Leben zieht (S. 53), ist nicht nur zeittypischer Auswuchs, sondern Ausdruck ihrer verengten Weltsicht.
Verbissen und abgrundtief mag sie Männer gehasst haben, wie eine Spinne umgarnte sie diese, ihre Begegnungen liefen fast immer nach demselben Schema ab. Desinteresse seitens der Männer machte sie krank. Krankhaft ist ferner ihr Versuch, wie sie sich in ihrem letzten Lebensjahrzehnt der Beschreibung bzw. der Beschönigung ihres „dramatischen Lebens“ (S. 392) widmete: Als ob sie damit Bedeutung neben den vielen künstlerisch-schöpferischen Männern gewinnen wollte – außer ein paar hübschen Jugendliedern hat sie eigentlich nichts Bedeutendes hinterlassen.
Nach der Lektüre des Buchs möchte man nichts mehr über diese Frau wissen, man kann ihr Leben abhaken, ist manchmal kopfschüttelnd fassungslos, man will sie hinter sich haben. Dem Autor Oliver Hilmes gebührt Dank um diese Biografie, ihm ist es gelungen, alles Wesentliche zu sagen und dies in einem gut lesbaren und trotz aller Sachlichkeit spannend gehaltenen Stil, ohne einen mahnenden Zeigefinger zu heben.
Werner Bodendorff