Casken, John
Winter Reels for ensemble
Studienpartitur
Das uvre des britischen Komponisten John Casken (geb. 1949) reicht von Kammermusik über Vokal- und Chormusik bis zu großen sinfonischen Besetzungen und mehreren Opern. Oftmals sind die poetischen Titel und die Atmosphäre seiner Werke von der Landschaft und Literatur Nordenglands inspiriert. Auf seinem abgelegenen Wohnsitz in Northumberland entstand auch sein jüngstes durch Formstrenge und Vielfarbigkeit gekennzeichnetes Ensemblestück Winter Reels unter dem Eindruck des vor dem Fenster tanzenden Winters: Winter was reeling outside the window when I was composing the work.
Die eindringliche, farbige und expressive Komposition entstand 2010 für das englische Kammerensemble Psappha, seit seiner Gründung 1991 eines der führenden Ensembles für Neue Musik in England. Das Werk ist für die Besetzung Flöte, Klarinette, Klavier, Schlagzeug, Violine, Cello komponiert und beim Schott-Verlag in der Reihe Musik unserer Zeit als Studienpartitur erschienen. Winter Reels besteht aus drei Sätzen und dauert ca. 20 Minuten.
Reels sind ursprünglich aus Schottland und Irland stammende schnelle traditionelle Tänze im 2/2-Takt. In den bewegten Ecksätzen der Winter Reels wird die Idee des Tanzens ganz unmittelbar zum Thema.
Der erste Satz, a warming dance, nimmt ausgehend von drei starken, fanfarenartigen Eingangsakkorden wellenartig immer wieder Anlauf zu schnell pulsenden triolischen Ketten. Indem sich diese Struktur erwärmt, dehnen sich die Wellen mit zunehmendem Atem über immer längere Zeiträume aus, bis der Satz nach einem großen Aufbau kulminiert und danach langsam wieder in fragile Segmente zerfällt.
Der zweite und langsame Satz, a cold song, ist charakterisiert durch die Spannung zwischen hohen Tonlagen, welche vorwiegend durch die Flöte und glockenspielartig resonierendes Tubafon bestimmt sind, und auf der anderen Seite durch kantablere, solistisch hervortretende Strukturen für Violoncello.
Das überaus lebendige und tänzerische Finale trägt den Titel a spirited gathering, was mit inspirierte Zusammenkunft übersetzt werden könnte. Ausgelöst durch einen auffordernden, energetisierenden Trommelrhythmus setzen sich verschiedene Instrumentengruppen in Bewegung. Dabei gibt es Passagen, bei denen die Instrumente in virtuosen, teilweise folkloristisch anmutenden Figurationen im rhythmischen Parallelgang spielen, andererseits Stellen, in denen die Instrumente motivisch und rhythmisch völlig autonom geführt werden, um aus dieser Episode der Überlagerungen zur gemeinsamen, rhythmisch homogenen Ekstase zu finden.
Winter Reels ist sowohl für den einzelnen Musiker als auch für das Ensemble im kammermusikalisch präzisen Zusammenspiel ein anspruchsvolles Werk. Es ist traditionell notiert und erfordert keine Spezialkenntnisse in Notationskunde oder Spieltechniken der Neuen Musik.
Anja Kleinmichel