Benguerel, Xavier / Manuel de Falla / Fernando García and Ramón Gorigoitia
Winnipeg
Música y Exilio
Mit originellen, thematisch gebundenen Programmen, in deren Zentrum die lateinamerikanische Kunstmusik steht, hat das in Weimar ansässige Ensemble Iberoamericana wiederholt von sich reden gemacht. Der Titel der CD Winnipeg leitet sich ab von dem gleichnamigen Frachtschiff, das im September 1939 spanische Flüchtlinge nach Chile brachte. Die Erfahrung des Exils verbindet die Werke dieser Einspielung, von denen das jüngste des chilenischen, seit 1983 in Deutschland ansässigen Komponisten Ramón Gorigoitia direkt Bezug nimmt auf das Fluchtunternehmen der Winnipeg.
Die 2010 vom Ensemble Iberoamericana uraufgeführte Komposition ist eine Art Klangcollage, die unter Einbeziehung von Originaldokumenten die Stationen der Überfahrt illustriert. Den Ausgangspunkt bilden dabei Fragmente aus einem Gedicht Pablo Nerudas, die Erinnerungen an seine Zeit in Madrid reflektieren und teilweise vom Dichter selbst rezitiert werden. Weitere historische Aufnahmen von Liedern des Widerstands verschmelzen mit den Stimmen zweier Sängerinnen und eines Sprechers und werden kommentiert von den teils lyrischen, teils geräuschhaften Klängen des Instrumentalensembles. Auf etwas plakative Weise verklingt das Werk offen und verhalten mit der Aufzählung der Namen der Passagiere. Weitere zwei Werke wurden ebenfalls 2010 vom Ensemble Iberoamericana uraufgeführt. Eines davon stammt von dem 1931 geborenen spanischen Komponisten Xavier Benguerel, dessen Familie 1940 Spanien verlassen musste. Seine kontrastreiche Fantasia dramàtica für sechs Instrumentalisten ist nahezu ein viersätziges Klavierkonzert. Es dominiert eine filigrane und atonale Klangsprache, in der die Klänge wie hingetupft erscheinen. Zur gleichen Komponistengeneration zählt der 1930 geborene Chilene Fernando García, der als engagierter Kommunist Chile zur Zeit der Militärdiktatur verlassen musste. Das Werk Nace la aurora orientiert sich sowohl vom Konzept als auch von der Klangsprache her deutlich an Schönbergs 2. Streichquartett, wobei der Singstimme ein poetisch-kämpferischer Text aus Nerudas Canto General zu Grunde liegt. Der zumeist introvertierte Quartettsatz steigert sich nur beim Kampfaufruf des Schlusses zu kompakteren Klangballungen.
Etwas überraschend beschließt Manuel de Fallas Cembalokonzert aus den 1920er Jahren die Einspielung. Plausibel wird dies durch die Tatsache, dass de Falla, der eine ambivalente Haltung während des spanischen Bürgerkriegs einnahm, seinem Land in seinen letzten Lebensjahren aus Enttäuschung über die politischen Entwicklungen den Rücken kehrte und sich in Argentinien niederließ. Sein Konzert wurde dabei mit der Einbindung von folkloristischen Elementen in eine an der europäischen Moderne orientierten Klangsprache zu einem wichtigen Bezugspunkt für die nächste lateinamerikanische Komponistengeneration. Die Aufnahme präsentiert das Werk in der auf den Komponisten selbst zurückgehenden Version als Klavierkonzert in einer markanten, jegliche Romantizismen vermeidenden Interpretation.
Klaus Angermann