Elisabeth Lutyens

Wind Trio op. 52

für Flöte, Klarinette und Fagott, Partitur und Stimmen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott, Mainz
erschienen in: das Orchester 03/2024 , Seite 64

Die Komponistin Elisabeth Lut-yens, die von 1906 bis 1983 lebte, war eine der wenigen ihrer Generation in England, die für das Neue aufgeschlossen waren. Schon mit sechzehn Jahren konnte sie dank ihres wohlhabenden und verständnisvollen Elternhauses von London nach Paris gehen, um dort zu studieren. Mit zwanzig kehrte sie zu weiteren Studien am Royal College of Music nach London zurück. Die spätere Begegnung mit der Musik Anton von Weberns führte sie zu ihrem eigenen vom Serialismus geprägten Stil. Ihr Kammerkonzert von 1939, mit jeweils drei Holz- und Blechbläsern und Streichtrio, galt als eines der fortschrittlichsten Werke der britischen Musik zu jener Zeit. In ihrem umfangreichen Schaffen widmete sie sich in der Kammermusik einige Male reinen Bläserbesetzungen. So im Woodwind Quintett op. 45 von 1960 und in der Music for Winds für doppeltes Bläserquintett, dem Bläseroktett Rape of the Moon op. 90 und dem hier vorliegenden Wind Trio op. 52 für Flöte, Oboe und Klarinette mit dem Untertitel in the meadows aus dem Jahr 1963, das von der BBC in Auftrag gegeben wurde.
Elisabeth Lutyens geht in diesem Trio mit einer Spieldauer von etwa zehn Minuten formal einen eigenen Weg. Es gibt keine traditionellen Satztypen, sondern fünf Improvisationen, die von vier Interludien unterbrochen werden, die mit zurückgenommener Dynamik und einfacherer Satzstruktur als Ruhepunkte nach den lebhafteren Improvisationen gestaltet sind. Angesichts der im Bläsertrio verwendeten dodekafonischen Kompositionstechnik erscheint der Begriff der Improvisation als Satztypus widersprüchlich, da sich die Komponistin recht streng an das Reihenprinzip hält. Er lässt sich möglicherweise durch die in allen Sätzen in verschiedenen Formen auftretende „Dreiton-Akkordbildung“ im Abstand von kleinen Sekunden verstehen, so wie der erste Satz mit dem Akkord cis’-d’-es’ im Pianissimo, das sofort zum ff anschwillt, eröffnet wird.
Die Unterschiede zwischen den Improvisationsteilen bestehen vor allem in der rhythmischen Ausarbeitung, die eine große Differenzierungsbreite mit ständigen Taktwechseln und kleingliedrigen Unterteilungen zeigt. Die Nähe zu Webern zeigt sich in der gestenhaften und konzentrierten Schreibweise Lutyens, die auch die dynamische Skala kontrastreich und bis in feinste Abstufungen ausreizt. Bei der Stimmführung gibt es keine Besonderheiten, die sich klanglich auswirken würden durch das Ausbrechen aus der vorgegebenen Klangebene z. B. durch Stimmentausch. Einzig die Flöte erweitert das traditionelle Klangbild durch einige Flatterzungen-Effekte. Das Wind Trio erfordert versierte Interpret:innen, die sicherlich lieber aus Spielpartituren das diffizil gestaltete hörenswerte Werk einstudieren würden als aus den sehr großzügig gedruckten Einzelstimmen.
Heribert Haase