Françaix, Jean

Wind Quintets Nos. 1 & 2 / L’Heure du Berger

Rubrik: CDs
Verlag/Label: MDG 603 0557-2
erschienen in: das Orchester 02/2013 , Seite 70

Woher kommt die bis 15 Jahre nach seinem Tod nicht schwindende Beliebtheit des französischen Komponisten Jean Françaix? Er war ein Zeitgenosse der Avantgarde, schien aber nicht ihre Existenz und noch weniger ihre Theorien wahrzunehmen. Françaix (mit gesprochenem x) komponierte stets tonal, bekannte sich immer zum Wohlklang und zum Ziel, den Zuhörer zu erbauen. Dabei war er keinesfalls ein Reaktionär. Er fühlte sich von Bach inspiriert, er schätzte auch Vorläufer von Schubert über Chopin und Chabrier bis Strawinsky. Irgendwie lässt er mich mit seiner oft von Holzbläsern zu spielenden Musik auch ein wenig an Mozart denken, vielleicht, weil jener mit den Stadler-Brüdern die Klarinette nobilitierte. Zum 200. Todestag würdigte Françaix den Klassiker mit einer Elegie für zehn Bläser. Der Mann aus Le Mans ist indes auf seine Art zeitgenössisch. Die vorliegende CD zeigt auf dem Cover – ohne Bezeichnung – ein Gemälde seines Landsmanns Raoul Dufy. Das passt. Denn beide waren moderne Künstler mit Lust am Charme alter Zeiten.
Die Kammervereinigung Berlin demonstriert hohes spieltechnisches Niveau mit präziser Intonation und trefflicher Phrasierung bei sicherer Gestaltung schon im ersten der Bläserquintette. Im zweiteiligen Kopfsatz folgt auf die weit geschwungene, gleichsam erzählende Hornlinie des Andantes ein quirliges, vibrierend rhythmisches Allegro, das in einem Forte endet. Das folgende Presto steigert die Aktion noch, hat aber auch Ruhepunkte. Im Andante mit fünf Variationen assoziiert das Thema die Aura des Melos vom Anfang. Die Ableitungen bieten zwar unspektakuläre, doch ideenreiche Kontraste in einer geschickten Dramaturgie. Das Tempo di marcia francese am Ende wirft eine Frage nach dem Zeitmaß auf: Gilt hier nicht das Metronom-Tempo 120 wie beim französischen Militär? Das wird jedenfalls um gut 18 „Sachen“ überboten. Egal – das ist schöne, optimistische Musik.
Bei L’Heure du Berger (Schäferstunde) fügt sich Frank-Immo Zichner perfekt als Pianist ein und erweitert das Quintett zum Sextett. Vergnüglich ist diese kleine Programmmusik, die das menschliche Balzverhalten sanftmütig karikiert: Die alten Gecken (Les Vieux Beaux) sind schon ein bisschen grotesk! Die Pin up Girls schwanken zwischen grazil und zickig, angeregt und hysterisch. Die kleinen nervösen Jünglinge (Les Petits Nerveux) zeigen sich genau als solche, aber vital und durchaus anmutig.
Das Quintet No. 2 ist erst 39 Jahre nach dem ersten entstanden, und trotzdem hat sich die musikalische Sprache von Françaix nicht verändert. Aber sie ist auch in ihrer hohen Qualität gleich geblieben. Das ebenfalls viersätzige Werk verbindet – wie die No. 1 – zunächst eine langsame Einleitung (Preludio) mit einem schnellen Teil, einer quicklebendigen Toccata. Ein reich pointiertes Scherzando sowie ein gedankentiefes Andante folgen. Als temporeiches Finale tänzelt ein Allegrissimo daher. Und nach Anhören dieser CD hat der Hörer nicht den Eindruck, etwas Veraltetes aufgelegt zu haben.
Günter Buhles