Müller-Lindenberg, Ruth
Wilhelmine von Bayreuth
Die Hofoper als Bühne des Lebens
Wie ein Buch schreiben über eine Frau, über die wir viel und zugleich wenig wissen, von deren Lebens- und Kunstkonzept das markgräfliche Opernhaus in Bayreuth, Schlösser und Gärten, Memoiren, Briefe, Librettientwürfe und Kompositionen zeugen? In dieser gut geschriebenen, gerade mal 172 Textseiten umfassenden Monografie, deren Untertitel kaum treffender hätte gewählt werden können, kann man es lernen.
Wilhelmine, Markgräfin von Bayreuth, geb. Prinzessin von Preußen (1709-1758), war das älteste von zehn Kindern von Friedrich Wilhelm I. und der Königin Sophie Dorothea aus dem Hause Hannover. Kaum war sie geboren, schon wurde darüber nachgedacht, wen sie dereinst heiraten sollte. Nach erbitterten Kämpfen zwischen den Eltern beugte sie sich 1731 dem Willen des Vaters und heiratete mit 22 Jahren den Erbprinzen von Bayreuth, den späteren Markgrafen Friedrich. Wilhelmine von Bayreuth berichtet in ihren Erinnerungen ausführlich von der menschenfeindlichen höfischen Heiratspolitik, deren Opfer nicht nur sie war, sondern auch die jüngeren Geschwister, unter ihnen vor allem ihr Lieblingsbruder, der spätere Friedrich II., genannt der Große. Worüber wir hingegen kaum etwas erfahren, ist ihr musikalischer Alltag.
Anders als in Berlin hatte Wilhelmine in Bayreuth in kulturellen Fragen freie Hand. Ihr Mann spielte wie ihr Bruder Flöte, war literarisch sehr bewandert und unterstützte ihre Pläne, soweit die finanzielle Lage des kleinen Ländchens es zuließ. So ließ sie das markgräfliche Theater (1745-1748) und Schlösser bauen, ließ Gärten anlegen, schrieb Textbücher, musizierte und komponierte, tanzte wahrscheinlich sogar, sorgte wohl auch selbst für die Inszenierungen und die Bühnenausstattung. In kürzester Zeit baute sie so in der kleinen Residenzstadt einen weit über die Landesgrenzen berühmten so genannten Musenhof auf. Die Gründung einer Musikakademie und einer Musik- und Opernschule nach einer zehnmonatigen Italienreise 1754/55 vollendete ihr Konzept der Verbindung aller Künste im Geist der griechischen Antike. Aber ihr blieben nur noch zwei Jahre: Sie starb bereits mit 49 Jahren.
Ihre einzige erhaltene Oper entstand im Jahr 1740. Auf den ersten Blick scheint Argenore nicht mehr zu sein als eine von unzähligen Opern, die für den Hofopernbetrieb des 18. Jahrhunderts entstanden sind: eine Da-capo-Arie nach der anderen, keine Ensembles. Aber die von der Komponistin selbst entworfene Intrigenhandlung endet tragisch. Drei Morde, zwei Selbstmorde ein ungewöhnliches Ende in dieser Zeit. Außerdem: Für beide Todesszenen komponiert Wilhelmine keine Arie mehr, verweigert die feste Form. Der Titelfigur, Mörder ihrer Kinder, bleibt nur fassungsloses Stammeln.
Werke biografisch zu betrachten ist eine Zugangsweise, der oft vorgeworfen wird, peripher zu sein. Aber sind nicht Bedingungen und persönliche, politische und gesellschaftliche Fragen Gegenstand der künstlerischen Darstellung, also konstitutiver Teil des Kunstwerks? Dieser und anderen Fragen geht die Autorin nach einem einleitenden Plädoyer für das Vielleicht, in dem sie ihre Quellengrundlagen und ihre eigene, durchaus geschlechtsspezifisch geprägte Autorinnenperspektive thematisiert, in ihrem Gang durch Lebensgeschichten, Kunstgeschichten und Werkgeschichten nach. Ein Anhang bietet u.a. einen bisher unbekannten Librettoentwurf der Markgräfin.
Beatrix Borchard