Lang, Klaus

Wilhelm Furtwängler und seine Entnazifizierung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Shaker Media, Aachen 2012
erschienen in: das Orchester 09/2013 , Seite 69

Furtwängler und der Nationalsozialismus – dieses Thema beschäftigt nicht nur die Fachwelt bis heute. Wie nah stand der berühmte Chefdirigent der Berliner Philharmoniker dem NS-Regime, warum hat er Deutschland nicht verlassen wie so viele andere? Der kürzlich verstorbene ehemalige SFB-Musikredakteur und Furtwängler-Kenner Klaus Lang entdeckte 2008 im Berliner Landesarchiv das Protokoll der Hauptverhandlung des „Ausschusses für Entnazifizierung der Kunstschaffenden“ gegen Furtwängler vom 17. Dezember 1946. Dieses Protokoll hat Lang – ohne es inhaltlich zu verändern – gekürzt, zu einem Theaterstück gemacht, mit Erläuterungen versehen und veröffentlicht.
Herausgekommen ist ein Buch, das sich nicht nur spannend liest, sondern auch ein weicheres Licht auf Furtwänglers Rolle im „Dritten Reich“ wirft. Jenes Foto etwa, auf dem sich Furtwängler nach einem Konzert vor den NS-Größen verneigt und das als Beweis für Furtwänglers Nähe zum Regime gesehen wurde, bekommt plötzlich eine andere Bedeutung – denn der Dirigent vermied den „Hitlergruߓ. „Ich habe den Gruß nicht gemacht, sondern mich nur verbeugt“, sagt Furtwängler, „obwohl man mich hinter der Bühne, auch von Seiten des Ministeriums, bestürmte, ich müsse diesen Gruß machen.“ Daher sei das Foto in Wirklichkeit „das Beweisstück meines Widerstandes, da ich den Gruß eben nicht machte“. Und wie war das mit dem Ehrentitel des „Bevollmächtigten für das Musikleben der Stadt Wien“, den Furtwängler Ende der 1930er Jahre erhielt? „Es war eigentlich kein Titel“, erwidert Furtwängler, „es war auch kein Gehalt damit verbunden. Es war lediglich eine Fassade.“
Vieles wird besprochen, analysiert, geklärt. Etwa die Frage, ob Furtwängler den Dirigenten Victor de Sabata tatsächlich als „der Jude Sabata“ bezeichnete und damit in Gefahr brachte, oder was es mit der „Wunder-Kritik“ auf sich hatte, in der der Musikkritiker Edwin von der Nüll 1938 Herbert von Karajan überschwänglich lobte und ihn so – mit Görings Unterstützung – gegen Furtwängler ausspielte. Nach und nach entsteht das Bild eines Mannes, der sich notgedrungen mit dem Regime arrangierte, der sich weigerte auszuwandern, weil er Deutschland und seine Musikszene nicht im Stich lassen wollte, der zahlreichen jüdischen Kollegen half und vielen das Leben rettete – und der dennoch in der Öffentlichkeit als Nazi-Sympathisant gebrandmarkt wurde.
Den Gründen hierfür geht Klaus Lang im zweiten Teil des Buchs nach. In einem ausführlichen Essay beleuchtet er nicht nur die Hintergründe der Ausschusssitzung, sondern geht auch auf die Nachkriegszeit ein, auf die Anfeindungen gegen Furtwängler – vor allem aus den USA – und dessen Kampf um seinen guten Ruf. Es ist ein Plädoyer für Furtwängler, eine späte Rehabilitierung des Dirigenten, der sich vielleicht nicht immer geschickt verhalten hat, aber dessen Inkonsequenz – die man ihm später vorwarf – aus den Gegebenheiten der Zeit heraus erklärbar ist. „Ja“, meint Furtwängler bei seiner Befragung, „konsequent zu sein ist bei solchen komplizierten Verhältnissen nicht immer möglich.“
Irene Binal