“Wieso ist der Walter so klug für sein Alter?”

Beziehungsweisen

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Rondeau ROP 6033
erschienen in: das Orchester 11/2010 , Seite 77

Vorliegende CD des „erschreckend männlich dominierten“ Salon­orchesters Capuccino trumpft im Booklet mit der Behauptung auf: „Das Caféhaus ist tot, es lebe seine Musik“, um gleich anschließend „Beziehungsweisen“ zu thematisieren, nämlich komponierende Männer und ihr Sujet, die „Faszination Frau“.
Die ganz offen zur Schau getragene männliche Dominanz mag der Transparenz zeitgenössischen Musizierens zuträglich sein, besonders witzig aber ist sie nicht – zumindest nicht für einen durch Gender Studies geschulten Rezensenten, der, womöglich allzu humorlos, in solchen Plattitüden blanke Tendenz eines Konservatismus wittert, sich gar zu trefflich mit dem präsentierten Repertoire verbindend.
So völlig unhistorisch und dementsprechend „so ganz unmittelbar“ werden die Stücke mal eben nicht kontextualisiert – von den Komponisten erfährt man nur die Lebensdaten. Reine Unterhaltung eben, gepflegt und gar artig, dem Gaumengenuss vergangener Mokka-Variationen ganz entsprechend. Dabei wundersam zusammengestellt und mit höchster musikantischer Kultur dargebracht, so vollendet in den ausklingenden Ritardandi und im erneuten Schwungholen, im historischen rollenden R des Sängers (und musikalischen Leiters, Albrecht Winter), das ist durchaus allerliebst.
Davon zeugt schon die beginnende Ouvertüre, Bagatelle, von Josef Rixner, ein frisches Stück mit unterschwellig zart harmonischen Untertönen verstreuter Solopassagen, gefolgt vom überaus charmanten Foxtrott Fred Raymonds, Ich hab’ das Fräulein Helen baden seh’n. Das der CD den Titel gebende Stück von Egen/Rollins/Rotter ist mit präzisen Synkopen besonders der Bläser bestechend. Neben unbekannteren Komponisten und hörenswerten Raritäten, etwa Giulio di Michelis Serenata da baci, sind auch Größen wie Edward Elgar und Franz Léhar vertreten, Letzterer mit einem Csardas, bravourös artikuliert, alle Stereotypen schmachtender Zigeunerweisen bedienend.
Aber zu traurig doch, den klingenden Alltag von einst nicht in einen angemessenen Rahmen zu betten, um genauere Erkundungen zur kokettierenden „männlichen Dominanz“ und zum „fast ganzen Spektrum menschlichen Liebeslebens“ zumindest erwähnend einzubeziehen. Am Ende trifft es die Musik selbst: Theo Mackebens so einfühlsames Bei Dir war es immer so schön, als Schlussstück präsentiert und daher auch als Hommage an das Caféhaus selbst zu verstehen, bleibt schmelzendes Geklimper, im Tempo zu schnell genommen und daher noch, trotz verhaltener Schmerzlichkeit der Komposition, dem verstorbenen Mokka-Genuss ausgeliefert. So lobend hervorzuheben das Bemühen, sich vergangener musikalischer Alltagskultur zu widmen, so höchst professionell und zumeist einfühlsam auch die Salonpiecen vom „Capuccino“ gespielt sind – was da an konservativer Gestimmtheit jenseits alles Musikalischen entgegenspringt, irritiert.
Steffen A. Schmidt

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