Jürgen Schläder (Hg.)
Wie man wird, was man ist
Die Bayerische Staatsoper vor und nach 1945
Es gibt ein Objekt, an dem kann man die intentionalistische Denkweise von Adolf Hitler durchgängig nachweisen: das ist die Bayerische Staatsoper: das Institut, an dem er kulturelle Präsenz und Dominanz durchgezogen hat so umreißt der federführende Theaterwissenschaftler Jürgen Schläder seine zentrale Erkenntnis aus der fast fünfjährigen Teamarbeit an dem nun erschienenen Band. Dass Kunst eben nicht in politikfreier Reinheit stattfindet, sondern mit Ästhetik immer Politik betrieben wird, beweist der neue Band eindringlich und überzeugend.
Damit ist er das kritische Gegenstück zu Das geliebte Haus, dem Buch, mit dem der von 1952 bis 1967 nahezu uneingeschränkt anerkannte Regisseur und Intendant Rudolf Hartmann sich von seiner NS-Karriere reingewaschen hat. Anhand der 44 Inszenierungen aus Hartmanns Münchner Tätigkeit als NS-Operndirektor und erster Regisseur zwischen 1937 und 1945 wird deutlich, wie er regime-konforme, ja sogar NS-Kernbegriffe verherrlichende Opernkultur auf hohem gesanglichen und musikalischen Niveau praktizierte. Ab 1952 pflegte Hartmann dann werktreu etikettierte Repräsentationsästhetik, in der sich das Münchner Hochkulturpublikum behaglich einrichten konnte. Die dadurch verdrängten Leistungen und Modernisierungsimpulse des Nachkriegsintendanten Georg Hartmann der Jahre 1947 bis 1952 werden endlich gebührend gewürdigt.
Dem Anlass Feier der Wiedereröffnung 1963, womöglich auch der Idee, ein künstlerisches Buch zu machen, entspricht der Aufbau: erst 100 Seiten zum neuen Haus, dann die NS-Zeit, die Akteure vor und nach 1945, schließlich die Ästhetik der Jahre 1933 bis 1963. Da wird der fehlende Endlektor deutlich, der Überschneidungen und Wiederholungen verhindert hätte.
Schwerer wiegt, dass nur die Hauptakteure und Solisten analytisch beleuchtet werden. Das führt zu erfreulich kritischen Blicken auf die Herren Strauss, Krauss, Sievert, Orff, Egk und Knappertsbusch. Zwar wird kurz auf ukrainische und französische Fremdarbeiter verwiesen, doch zu den mehreren Hundert Mitarbeitern in Chor, Orchester, Werkstätten, Technik und Verwaltung des Unternehmens Staatsoper fehlt bis auf wenige Sätze alles. Wenn der von Hannes Heer manifestierte Begriff Verstummte Stimmen schon einmal genannt wird: Vielleicht hätte sich bei ihm oder einem NS-Kenner wie Götz Aly in Partei- und Gewerkschaftsarchiven die Nachfrage gelohnt. Denn die Opernhäuser Frankfurt, Hamburg und zuletzt Stuttgart würdigen ihre durch die braunen Kulturbarbaren zum Verstummen gebrachten Künstler mit Gedenktafeln; in Dresdner und Darmstädter Theatern haben sich NS-Opfer im zweistelligen Bereich finden lassen ausgerechnet in der Vorzeige-Oper der NS-Hauptstadt der Kultur sollte es nur einen jüdischen Solisten als Auschwitz-Opfer gegeben haben? Das Warum und Wieso von Münchner Akten-Fehlbeständen hätte ein Kapitel verdient wie sich die Hauptstadt der Bewegung zur Weltstadt mit Herz mit einer Oper von Weltgeltung gesäubert hat und so wurde, was sie ist.
Wolf-Dieter Peter