Richter, Christoph
Wie ein Orchester funktioniert
Mit einer fröhlich-bunten Buch-Veröffentlichung feiert das mehrmals umbenannte Deutsche Symphonie-Orchester Berlin seinen 60. Geburtstag. Keine Chronik sollte es sein, die gab es schon zum Fünfzigsten, sondern eher ein Leitfaden durch Geschichte und Gegenwart des Zusammenspiels der Instrumente, ein Leitfaden zur Begegnung mit einem modernen Sinfonieorchester. Man hofft, dass er über den Anlass hinaus am Markt bleiben wird.
In 18 Kapiteln wird versucht, dem Phänomen Orchester auf die Spur zu kommen, die Organisation von allen Seiten zu beleuchten und die vielfältigen Aktivitäten zu schildern, die nötig sind, damit ein Konzert stattfinden kann; von den Musikern auf dem Podium zu den vielen unentbehrlichen Mitarbeitern hinter den Kulissen und das am Beispiel des DSO. Warum auch nicht, andere Orchester arbeiten ähnlich.
Dazu gibt es hübsch bebilderte Ausflüge in die Vergangenheit des Orchesterspiels, und auch musikalische Fragen kommen nicht zu kurz. Einzelne Werke des symphonischen Repertoires werden näher behandelt und Sonderfragen erörtert, etwa die beiden Bedeutungen des Wortes Kadenz oder Notenschrift und Partituren. Das allgemein verständlich und flüssig geschriebene Buch wendet sich an erwachsene Laien; für Kinder oder Jugendliche ist es zu schwierig, für den Fachmann bringt es nichts Neues. Dazu fehlt auch ein Sach- und Namensregister.
Der Autor schreibt oft in der Ichform: Christoph Richter ist emeritierter Professor für Musikpädagogik an der Universität der Künste Berlin. Das Buch ist grafisch sehr ansprechend vielfarbig gestaltet und reich illustriert. Dennoch einige kritische Anmerkungen: Manon Gropius, der Engel, dessen Andenken Alban Berg sein Violinkonzert gewidmet hat, war weit mehr als Nachbarstochter. Bach wechselte nicht einfach von Köthen nach Leipzig nein, er verließ den liberalen Hof, weil der junge Fürst eine Amusa, eine unmusikalische Frau heiratete und es mit der Musik vorbei war. Die Philharmonie in Berlin und das Leipziger Gewandhaus wurden nicht wiedereröffnet, sondern neu gebaut, und ob wohl jeder weiß, dass Aix-la-Chapelle auf deutsch Aachen heißt?
Den Dirigenten, dessen Aufgaben ein ganzes Kapitel gewidmet ist, als Tänzer am Pult zu bezeichnen, ist allerdings eine Entgleisung, die wohl kein Kapellmeister unwidersprochen hinnehmen würde. In diesem Zusammenhang sind aber die Anmerkungen von Ferenc Fricsay zu Kunst und Handwerk des Dirigenten sehr lesenswert.
Alles in allem ein korrekt recherchiertes, sympathisches Buch; sympathisch deshalb, weil der Autor bis zur letzten Seite versucht, seine Leser mit dem eigenen Enthusiasmus für das klassische Sinfoniekonzert anzustecken. Der etwas ungelenke Titel wäre als Frage eleganter fomuliert: Wie funktioniert ein Orchester?
Ursula Klein