He, Xuntian

Whirling Udumbara II

for viola, violoncello and He-drum, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2015
erschienen in: das Orchester 04/2016 , Seite 72

Man muss sich schon auf ihn einlassen, den chinesischen Komponisten Xuntian He, und natürlich auf seine für unsere westlichen Ohren recht fremden, mit unseren Maßstäben kaum fassbaren Klangwelten, von denen irgendetwas ausgeht, was den Zuhörer in den Bann zieht. Xuntian He, 1952 in Szechuan, Volksrepublik China, geboren, lehrt als Professor am Shanghai Conservatory of Music. Er hat mehrere originäre Kompositionstheorien entwickelt und gilt als Begründer einer neuen, eigenständigen, von westlichen Modellen emanzipierten Schule chinesischer Kunstmusik und als derzeit wohl prominentester Komponist Chinas. Seine Werke reflektieren ein Denken und Fühlen, das tief in der spirituellen Welt des Fernen Ostens verwurzelt ist.
Der Titel des vorliegenden Trios Whirling Udumbara II für Viola, Violoncello und He-Drum bezieht sich auf Stamm, Blüte und Frucht des Feigenbaums, Udumbara (Sanskrit), in buddhistischem Kontext Symbol für Seltenheit, aber auch für Schmarotzertum. Dem Stück vorangestellt hat der Komponist sein Gedicht Fragrant Nirvana Tree, wo es um den berauschenden Duft des Nirwana-Baums geht, dem man verfällt, wohl wissend, dass er ins Verderben führt und sich alsbald jedem anderen, der sich nähert, ebenfalls berauschend hingibt.
Das 15-minütige Stück, notiert in 1661 Ein-Viertel-Takten, ist gegliedert in sechs ineinander übergehende Abschnitte: „Transcendental“, „Ext­raordinary“, „Unfettered“, „Ecstatic“, „Paradisiac“ und „Reflections“. Es beginnt einstimmig, indem Viola und Cello im ganzen ersten Abschnitt die gleichen Töne des sehr einfachen, das ganze Stück durchziehenden Sekund-Motivs in gleicher Lage intonieren, zeitversetzt überlappend und immer wieder durch Pausen unterbrochen. Ab Takt 187 gesellt sich He-Drum hin­zu, ein siebeneckiges, von He entwickeltes und entworfenes Schlaginstrument, nach Anweisung Hes improvisiert, ohne eigenen gedruckten Part. Jetzt wird die Musik zweistimmig: Eine ständig zwischen Viola und Cello wechselnde melodische Linie – wenn man das so nennen kann, es handelt sich eigentlich immer um das Anfangsmotiv, in unzähligen Wiederholungen auf minimalste Weise variiert – wird begleitet durch tupfend-trockene Achtel. Der 4. Abschnitt („Ecstatic“) bringt die Achtel des Ausgangsmotivs kurz, motorisch und vierstimmig, „Paradisiac“ führt erstmals Sechzehntel-Noten ein, später kommen noch kurze Zweiunddreißigstel-Ornamente hinzu, die Dynamik zeigt sich ausgefeilter und extremer. Schließlich nimmt „Reflections“ die kurz getupfte Achtelmotorik von „Ecstatic“ im Pianissimo wieder auf, und He lässt das Stück im völligen Nichts enden („Fade away“).
Die 15 Minuten dieser Meditationsmusik sind mit ihrer erbarmungslosen Motivwiederholung fast quälend intensiv und bohrend. Wenn es so etwas wie spannende Monotonie gibt, dann wäre das hier. Am besten, man lässt sich einfach „sacken“, vergisst alles, was man jemals über klassische Form und Proportion gelernt hat und gibt sich unreflektiert der Wirkung hin – wobei wir dann wieder bei Xuntian Hes Gedicht wären. Das gilt allerdings nicht für die Spieler: Geübt und sorgfältig geprobt werden muss das Werk schon.
Herwig Zack