Massenet, Jules
Werther
Es war nicht die glücklichste Entscheidung, in der neuen DVD-Reihe bei Arthaus, die sich Opernproduktionen mittlerer Häuser widmet, ausgerechnet aus dem weiten Repertoire des Badischen Staatstheaters Jules Massenets “Werther” aus dem Jahr 2007 auszusuchen. Interessanter wäre beispielsweise die musikalisch hochkarätige Produktion von Strauss “Frau ohne Schatten” gewesen. Denn auf dem DVD-Markt muss sich die “Werther”-Aufführung aus Karlsruhe einer übermächtigen Konkurrenz stellen. Abgesehen davon präsentiert die Aufzeichnung auch im Vergleich zu parallel erschienenen Produktionen bei Arthaus nicht die Bild-Qualität, wie sie eine professionelle DVD-Produktion haben müsste.
Die Bildführung wirkt teilweise zufällig, woran auch die problematische Inszenierung von Robert Tannenbaum sowie das Bühnenbild von Christian Floeren für die teilweise gewollt hässlichen Kostüme zeichnet Ute Frühling verantwortlich einen Anteil haben. Oft fehlt es an Tiefenschärfe, sodass sich der Eindruck eines semiprofessionellen Arbeitsmitschnitts aufdrängt, der für eine interne Dokumentation sicher geeignet ist, nicht aber unbedingt für eine Veröffentlichung auf dem inzwischen von Qualitätsproduktionen geprägten DVD-Markt. Die sehr künstlich wirkende Lichtkonzeption der Aufführung erschwerte die Liveaufzeichnung zusätzlich.
Deutlicher überzeugender ist die Klangqualität der DVD. Daniel Carlberg, der junge zweite Kapellmeister des Badischen Staatstheaters, inspiriert die Badische Staatskapelle zu idiomatisch überzeugendem, klangschön-geschmeidigem Spiel. Die Aufschwünge der Partitur kommen mit entsprechender dramatischer Wucht, ohne in teutonisches Dröhnen abzugleiten. Differenzierte Streicherpracht prägt neben dem zuverlässigen Spiel der Bläser (prägnant artikulierende Hörner) die Aufzeichnung, die immer wieder mit schön abgetönten, nie ins Sentimentale abgleitenden Details aufwarten kann.
Uneinheitlicher sind die Gesangsleistungen: Keith Ikaia-Purdy singt die Titelpartie mit kraftvoll-zuverlässigem, in der Höhe gelegentlich etwas glanzlos-forciertem Tenor, dem aber etwas die Flexibilität und Zwischentöne für die Partie abgehen. Silvia Hablowetz ist eine intensiv gestaltende Charlotte, deren angenehm timbrierter Mezzosopran sehr um Differenzierung bemüht ist und die dramatischen Aspekte der Partie betont, auch wenn Mittellage und Tiefe nicht immer souverän ansprechen. Aufhorchen lässt die geschmeidig-ausdrucksstarke Sopranistin Ina Schlingensiepen als Sophie. Prägnant auch Armin Kolarczyk, der die hintergründigen Züge von Charlottes Verlobtem und späterem Mann Albert aufzeigt. Gemäß der Regieintentionen singt und gestaltet Tero Hannula einen verwahrlosten Amtmann.
Robert Tannenbaums Regiekonzept betont weniger die romantische Liebesverzweiflung Werthers denn das triste soziale Umfeld Charlottes, aber auch den religiösen Druck, der auf ihr lastet, hat sie doch der sterbenden Mutter geschworen, Albert zu heiraten. Ansonsten ist dieser Werther in den Zeiten des Prekariats angekommen. Ein nicht immer überzeugend auf die Bühne gebrachtes Konzept, auch wenn Tannenbaum einige durchaus neue Aspekte in Massenets Meisterwerk findet.
Walter Schneckenburger