Werke von Johann Christian Bach und Johann Michael Haydn
Sophie Dervaux (Fagott), Münchener Kammerorchester
Dieses Album lässt vor allem die Musik selbst sprechen und bringt sie zum verständlichen, bescheidenen, gerade deshalb brillanten Klingen. Nur eine Fotoserie mit Porträts der französischen Solofagottistin der Wiener Philharmoniker und des Wiener Staatsopernorchesters findet sich im Booklet – neben den auf Titel, Namen und Fakten konzentrierten Notaten in zinnoberroter Handschrift-Simulation. Das Gruppenbild des Münchener Kammerorchesters, dem Kollektivpartner von Sophie Dervaux, ist in der Mitte.
Die auch technisch bestens geratenen Aufnahmen dieses Dreamteams entstanden 2021 im Studio 2 des Bayerischen Rundfunks. Anders als das Mozarteumorchester Salzburg, mit dem Sophie Dervaux fast zeitgleich Einspielungen dreier Fagottkonzerte von Mozart, Hummel und Vanhal veröffentlicht hatte, pflegt das Münchener Kammerorchester ein Kernrepertoire eher aus dem 20. und 21. als aus dem 18. Jahrhundert. Vielleicht ist das Resultat hier deshalb so unprätentiös, sorgfältig, hochklassig.
Dervaux’ Fagott harmoniert mit dem Instrumentalensemble. Die Intonation ist weder spröde noch zuckerig. Vor allem wird deutlich, wie universell der als Opernpionier noch immer unterschätzte Johann Christian Bach Melodien dachte. Auch Johann Michael, der jüngere Bruder von Joseph Haydn, hatte eine hohe Affinität zum Kantablen. Dervaux leistet in ihren zwei Alben mit Solokonzerten des 18. Jahrhunderts also einen üppigen Beitrag zur Hommage an ihr Instrument, das durch den langsamen Siegeszug der Klarinette einen Terrainverlust erlitt.
In einem anderen Kontext erfuhr Dervaux vor wenigen Jahren Unterstützung durch ihren Kollegen Sergio Azzolini, als dieser mit dem Kirchheimer BachConsort die Fagott-Kantaten von Christoph Graupner für Gottesdienste des Darmstädter Hofes einspielte. Graupner hatte insgesamt 95 Arien mit exponierten Soli für Johann Christian Klotsch, den Fagottisten der Darmstädter Hofkapelle, komponiert. Auch das ist ein Zeichen für die hohe Bedeutung des Fagotts bis zum Spätbarock.
Das Rühmlichste an diesem Album ist die satte Schönheit und profunde Ernsthaftigkeit der Gestaltung. Es gibt keinen beiläufigen Akkord. Balance und Mixtur der Stimmen sind getragen von sachlicher wie emotionaler Achtsamkeit. Eine den Franzosen zugeschriebene Aufmerksamkeit für musikalische Eloquenz kommt hier mit der Ausdrucksfähigkeit des durch vielschichtige Herausforderungen in Neuer Musik geprägten Münchener Kammerorchesters und performativer Agilität zusammen. Das führt zu einer substanziellen und voll konkurrenzfähigen Homogenität, die der forschen Springlebendigkeit von Originalklangensembles entgegensteht. Sophie Dervaux und die Münchner zeigen also, dass die Stilrichtungsbenennung „Empfindsamkeit“ berechtigt ist und individuelle Ausprägungen begünstigen kann, wie in dieser beglückenden Aufnahme.
Roland Dippel