Werke für vier Violoncelli

von Joseph Jongen, Friedrich Metzler und Pierre-Petit

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Dematon 03316
erschienen in: das Orchester 12/2004 , Seite 93

Originalliteratur für vier Violoncelli gibt es im 20. Jahrhundert nicht eben wenig – allerdings vornehmlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dies zu ändern und unbekannte Werke ans Licht (respektive ans Ohr) der Öffentlichkeit zu ziehen, haben sich vier junge Cellisten, allesamt Absolventen der beiden Berliner Musikhochschulen, zu ihrer Aufgabe gemacht. Ein sehr interessantes Ergebnis dieser Arbeit liegt mit dieser CD vor.
Joseph Jongen – belgischer Komponist mit tiefen Wurzeln in der französischen Spätromantik eines César Franck – hat ein beeindruckend weit gefächertes Werkregister aufzuweisen, aus dem so gut wie kein Stück größere Bekanntheit erreicht hat. Seine Deux Pièces entstanden 1929 und bestechen durch differenzierte Klangwirkungen und gute Effekte (wie z. B. der pizzicato-Anfang des 2. Satzes). Kontrapunktische Gelehrsamkeit hat Jongen, der 1920 in Brüssel zum Professor für Fuge ernannt worden war, hier weniger exponiert als subtile Klangfarben à la Debussy.
Ganz anders die Musik des bei Breslau geborenen Wahlberliners Friedrich Metzler. Der sehr gute CD-Text bemüht sich um einen positiven Kommentar zu Metzlers Personalstil, der – fernab aller avantgardistischen Bestrebungen – auf kontrapunktischen Prinzipien fußt. Sein Quartett aus dem Jahr 1954 greift auf traditionelle musikalische Elemente zurück: Viersätzigkeit und zyklische Geschlossenheit. Das Stück klingt für die Zeit ziemlich anachronistisch und ist bei aller Sympathie für Unbekanntes ein wenig zu belanglos.
Das für mich interessanteste Werk ist die Suite des Franzosen Pierre-Petit (*1922 in Portier, † 2000 in Paris), über den sich alle mir zugänglichen Lexika ausschweigen. Auch der CD-Text ist hinsichtlich biografischer Details einsilbig – was umso mehr erstaunt, als die dreisätzige Suite (Prélude – Adagio – Scherzo) faszinierende kompositorische Momente enthält. Mittel- und Schwerpunkt ist das Adagio: ein Satz von großer klanglicher und emotionaler Eindringlichkeit. Dieser Satz und das Final-Scherzo, das alle vier Spieler technisch und musikalisch herausfordert, weisen Pierre-Petit als einen genauen Kenner der cellistischen Möglichkeiten aus.
Das junge Berliner Quartett überzeugt durchweg durch sehr engagiertes, temperamentvolles Spiel und eine feine, saubere Intonation. Auch klangtechnisch bleiben keine Wünsche offen. Die sehr empfehlenswerte CD enthält einen ausführlichen und lesenswerten Text von Claus Woschenko und ist äußerlich ansprechend gestaltet. Einzig die Zeitangaben der neun Tracks vermisst man – vielleicht weil dann sofort auffiele, dass die Spielzeit insgesamt nur 37 Minuten beträgt und somit noch Platz gewesen wäre für eine weitere Trouvaille…
Holger Best

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